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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

und war ganz glücklich in diesen Zukunftplänen, als Katharina, die Wirthschafterin etwas betreten in den Salon trat.

Frau Martha, berichtete sie, steht draußen mit verstörtem Antlitz und beschwört um Gotteswillen, vor den Herrn und die Madame gelassen zu werden.

Eine Ahnung floh bei diesen Worten durch Georg’s Seele, und von derselben Ahnung ergriffen, begann Felicitas zu zittern und erbleichte sichtlich.

In demselben Augenblicke schwankte Martha herein. Ihr Auge war starr und thränenlos. Sie sank, ohne ein Wort zu sprechen, auf die Knie; die funfzig blanken Thalerstücke, die sie in der Schürze trug, rollten dahin auf dem glatten Parketboden und mit einem Tone, wie ihn nur ein gequältes Mutterherz hervorzubringen vermag, rief sie: Hier haben Sie Ihr Geld, geben Sie mir mein Kind wieder!

Und nach einer Pause:

Ich habe gerungen und gebetet – es half Alles nichts. Ich will arm bleiben – aber geben Sie mir mein Kind wieder!

Und zu Felicitas gewendet, die unvermögend ein Wort zu erwiedern, im Sopha zurückgesunken war:

O Sie himmlisch gute Madam – vergeben Sie – aber Sie haben kein Kind – Sie wissen nicht, wie es – sie deutete auf's Herz – hier wehe thut, wenn eine Mutter ihr Kind hergeben soll.




Als der Abend nahte, zog Martha mit der kleinen Marie wieder hinaus in die ferne, fremde Welt. Aus dem liebevollsten, freundlichsten Asyle ward das Kindlein wieder hinausgetrieben; aller Wahrscheinlichkeit nach wieder der Armuth und dem Elende entgegen. Zwar hatte Georg, gerührt von der Mutterliebe der armen Frau, die lieber auf eine in ihren Augen außerordentliche Geldsumme, lieber auf die Aussicht einer glücklichen Zukunft, als auf ihr Kind verzichtet, die funfzig Thaler nicht wieder zurückgenommen; auch versprochen, der armen Familie ferner zu gedenken, falls sie sich seiner Wohlthaten würdig erweise – gleichwohl blieb das Schicksal des Kindes, dem einen Augenblick lang ein so glücklicher Stern geleuchtet, einer nur zu unsichern Zukunft preisgegeben.

Lange schauten Georg und Felicitas, von ihrem Altane der dahinziehenden Mutter nach, die zwar arm am irdischen Gut, aber reich an Liebe für ihr Kind, dasselbe innig an ihre Brust gedrückt, wieder mit sich nahm. Sie blieb oft stehen und winkte dankend mit der Hand zurück, bis sie hinter einem rothblühenden hochaufgewachsenen Kleefelde, um das sich der Pfad bog, den Nachschauenden verschwand. Martha wanderte nach einem unfernen Dorfe, wo ihre Kinder sie erwarteten.

Georg aber umarmte sein Weib mit der theilnehmendsten Innigkeit. Arme Felicitas, sprach er sanft und küßte eine Thräne von ihrer Wange, Gott hat es nicht gewollt. Er schenkte Dir einen wunderschönen Traum, aber es sollte nur ein Traum bleiben. Ach setzte er nach einer Pause düster hinzu, unser ganzes Leben ist ja nur ein Traum.

Dem ein schöneres Erwachen folgen wird, flüsterte Felicitas wie von einer Ahnung durchweht und schaute lange hinaus in den Frühling, der immer abendlich röther wurde, während die Abendglocken des Thales fromm zu läuten begannen.




Und der Traum sollte zur Wahrheit werden und ihr höchster Erdenwunsch sollte in Erfüllung gehen. Als die Gipfel der Waldberge sich herbstlich zu röthen begannen, die Schwalben auf dem hohen Giebeldache von Lindenruh ihre baldige Abreise beredeten und in dem Garten die letzten Georginen ihre Blüthen aufschlossen, vertraute Felicitas erröthend ihrem Gatten das seligste Geheimniß ihres Lebens. Wer beschreibt die Seligkeit der Glücklichen, und doch, – was ist selbst das höchste Glück hienieden!

Als die ersten Lerchen den nahenden Frühling verkündeten, genaß Felicitas eines Mädchens. Doch nur wenige Stunden sollte ihr hienieden vergönnt sein, das Glück der Mutter zu empfinden. Der Himmel nahm sie zu sich, sanft, wie sie gelebt, würdig einer schönern Welt. Mit verklärtem Lächeln reichte sie dem an ihrem Lager niedergesunkenen Georg die Hand zum Lebewohl für dieses Leben. – Es war dieselbe Stunde, wo wieder die Abendglocken durch das Thal hallten, so ahnungsvoll, so Frühling verkündend.

Ihre jahrelange Sehnsucht war erfüllt, ihr jahrelanges Gebet ward erhört – aber sie mußte das heißersehnte und heißerbetete Geschenk des Himmels mit ihrem Leben bezahlen. Also bestürmen wir armen Sterblichen so oft den Himmel um Gaben, die nur zum Verderben uns gereichen. Ja Vater im Himmel, unerforschlich, doch weise sind deine Wege.

Georg's Kindlein folgte seiner Mutter noch am selbigen Tage. Wo hätte es auch hienieden eine solche Mutter gefunden.

Der bejammernswerthe Gatte und Vater war der Verzweiflung nahe. Nach Jahr und Tag war der einst so rüstige und lebensfrohe Mann kaum mehr zu erkennen. Ein organisches Brustleiden, das lange in ihm geschlummert, kam zum Ausbruch. – Er ruht bereits seit manchem Jahre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_012.jpg&oldid=- (Version vom 8.1.2019)