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mit dem Kulturniveau variiert, doch das Fundament das gleiche ist. Und die Gemeinde mochte Jedem seine Bouillon sichern, sie mochte alles, was zur Ausbildung einer Individualität beitragen konnte, unterdrücken, sie mochte einem Jeden die Bibel als Lektüre aufzwingen, – die individuellen Geschmacksrichtungen machten sich schließlich in einer allgemeinen Unzufriedenheit Luft: kleinliche Streitigkeiten brachen über die Frage aus, ob man ein Piano oder physikalische Instrumente kaufen sollte; die Fundamente für allen Fortschritt schwanden, die Gesellschaft konnte nur leben unter der Bedingung, daß sie jedes individuelle Gefühl, jede künstlerische Tendenz, jede Entwicklung ertötete.

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Wird die anarchistische Kommune denselben Weg beschreiten?

Offenbar nein, vorausgesetzt natürlich, daß sie anerkennt und sich bemüht, allen Kundgebungen des menschlichen Geistes mit dem Augenblick Genüge leisten zu wollen, wo die Produktion alles dessen, was unerläßlich zur Erhaltung des Lebens ist, gesichert ist.

II.

Wir gestehen offen, wenn wir an die Abgründe des Elends und der Leiden, die uns umgeben, denken; wenn wir den herzzerreißenden Ruf der Arbeiter hören, welche die Straßen durcheilen und um Arbeit betteln, so widersteht es uns, die Frage zu diskutieren: Wie wird man es in einer Gesellschaft, in der Jeder gesättigt ist, bewerkstelligen, um einer Person, die Porzellan von Sèvres oder ein Sammtkleid zu besitzen wünscht, Genüge leisten?

Anstatt jeder Antwort sind wir versucht zu sagen: Sichern wir uns zuerst das Brot. Was das Porzellan und den Sammt anbetrifft, so werden wir später sehen.

Aber da man anerkennen muß, daß der Mensch auch noch nach anderen Genüssen Verlangen hat, außer den Lebensmitteln und da die Stärke des Anarchismus gerade darin besteht, daß er alle menschlichen Fähigkeiten und alle Leidenschaften umfaßt, keine ignoriert, so wollen wir in wenigen Worten sagen, was geschehen könnte, um den geistigen und künstlerischen Bedürfnissen des Menschen zu genügen.

Wenn jeder bis zu einem Alter von 45 oder 50 Jahren täglich 5 oder 4 Stunden arbeitet, so wird der Mensch, wie wir sagten, leicht alles das produzieren, was notwendig ist, um der Gesellschaft den Wohlstand zu sichern.

Aber der Tag des an die Arbeit gewöhnten und die Maschine bedienenden Menschen hat mehr als 5 Stunden, er hat 10 Stunden und dies während 300 Tage im Jahre und während seines ganzen Lebens. So kommt es, daß seine Gesundheit zerstört und seine Intelligenz abgestumpft wird. Wenn man aber seine Beschäftigungen wechseln kann, und besonders, wenn man zwischen Hand- und Kopfarbeit

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/95&oldid=- (Version vom 27.8.2018)