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und eine kapitalistische Unternehmung kann nicht auf dem Mitgefühl begründet werden.

Es muß der Gesellschaft überlassen bleiben, diese gewaltige Produktivkraft, die heute nur auf einzelne Industrien beschränkt ist, zu einer allgemeinen zu machen und sie im Interesse Aller zu verwerten. Doch um Allen den Wohlstand zu garantieren, ist es offenbar unerläßlich, daß die Gesellschaft von allen Produktionsmitteln Besitz ergreift.

Die Oekonomisten werden uns ohne Zweifel daran erinnern – das Erinnern ist ihre starke Seite –, daß schon heute ein gewisser Wohlstand für eine bestimmte Kategorie junger, robuster und gewandter Arbeiter in einigen Spezialbranchen der Industrie besteht. Es ist immer diese Minorität, auf welche man uns mit Stolz verweist. Aber der Wohlstand – jenes Angebinde einiger Weniger – ist er ihnen denn wirklich auch gesichert? Morgen wird eine Fahrlässigkeit, eine Unvorsichtigkeit, oder die Habgier ihrer Herren diese Privilegierten auf das Straßenpflaster werfen, und sie werden dann mit Monaten oder Jahren von Bedrängnis und Elend die Periode des Wohlergehens, der sie sich erfreut haben, bezahlen. Die größeren Industrien (Tuch-, Eisen-, Zucker- usw.), ohne von den größten sprechen zu wollen, sehen wir abwechselnd ihre Produktion einschränken und bald ganz feiern, sei es in Folge von Spekulationen oder natürlichem Stocken der Arbeit, sei es endlich unter der Wirkung der von den Kapitalisten selbst geschaffenen Konkurrenz. Alle großen Industrien, namentlich die Spinnerei und die Metallwarenindustrie haben oft eine derartige Krise durchgemacht.

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Und weiß man nicht sehr wohl, zu welchem Preise der relative Wohlstand einiger Arbeiterkategorien erkauft wird? Durch den Ruin des Ackerbaues, durch die schamlose Ausbeutung der Bauern und durch das Elend der Massen wird er erreicht. Im Vergleich zu dieser schwachen Minorität von Arbeitern, die sich eines gewissen Wohlstandes erfreuen, müssen viele Millionen menschlicher Wesen Tag um Tag ohne gesicherten Lohn leben, stets bereit, sich dorthin schaffen zu lassen, wo man ihrer wirklich einmal bedürfen sollte; müssen viele Bauern täglich 14 Stunden für einen kärglichen Bissen Brot arbeiten. Das Kapital entvölkert das flache Land, beutet die Kolonien aus und die Länder, deren Industrie noch wenig entwickelt ist; es verdammt die ungeheure Mehrheit der Arbeiter ohne technische Bildung, selbst in ihrem eigenen Handwerk unerfahren zu bleiben.

Es ist kein Zufall, es ist eine notwendige Folge des kapitalistischen Regimes. Um im Stande zu sein, einige Arbeiterkategorien einigermaßen zu entlohnen, ist es notwendig, daß der heutige Bauer das Lasttier der Gesellschaft ist; daß das flache Land im Interesse der Stadt verödet, daß in den schmutzigen Vorstädten der Großstädte sich kleine Handwerke bilden, welche fast für ein Nichts tausenderlei wertlose Gegenstände fabrizieren, und die Produkte der großen Manufaktur erst in den Kaufbereich der Leute mit geringem Einkommen bringen: damit das

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/87&oldid=- (Version vom 3.6.2018)