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die Paläste und die kostbaren Quartiere anbelangt, so würden viele Arbeiterfamilien auf ein Beziehen derselben verzichten: man kann sich ihrer nicht bedienen, wenn man nicht eine zahlreiche Dienerschaft zur Verfügung hat. Auch ihre heutigen Bewohner würden sich bald gezwungen sehen, sich nach weniger luxuriösen Wohnungen umzusehen, in denen die Bankiersfrau dann selbst ihre Köchin spielen wird. Und allmählig, ohne daß es nötig wäre, den Bankier mittels einer Eskorte in die Mansarde zu geleiten und den Bewohner der Mansarde in den Palast des Bankiers, würde die Bevölkerung sich in Güte in die vorhandenen Wohnungen teilen und zwar, ohne daß es Anlaß zu großer Unordnung gäbe. Sieht man nicht auch die Agrarkommunen ihre Felder verteilen, ohne die augenblicklichen Inhaber der Parzellen in ihrer Gesamtheit beträchtlich zu stören?

Muß man nicht einfach die Einfachheit und Scharfsichtigkeit der Maßnahmen, zu denen die Agrarkommune ihre Zuflucht nimmt, bewundern? Die russische Landgemeinde – und dies Faktum ist durch Bände von Untersuchungen bewiesen, – hat einen geringeren Wechsel der Besitzer auf ihren Ländereien aufzuweisen, als das individuelle Eigentum mit seinen von den Gerichtshöfen ausgefochtenen Prozessen! Und man will uns glauben machen, daß die Bevölkerung einer großen europäischen Stadt törichter und von geringerem Organisationstalent sein würde, als die russischen Bauern oder die Hindus!

Uebrigens bedeutet jede Revolution eine gewisse Störung des täglichen Einerlei und diejenigen, welche eine große Krisis zu überstehen hoffen, ohne daß ihre Hausfrau bei ihrem Kochtopf gestört würde, laufen Gefahr, arge Enttäuschungen zu erleiden. Man kann eine Regierung wechseln, ohne daß der brave Familienvater sein Essen eine Stunde später bekäme; indes man kann nicht in gleicher ruhiger Weise die Verbrechen, welche eine Gesellschaft an ihren Ernährern begangen hat, wieder gut machen.

Es wird sicherlich ein gewisses Wirrwarr geben. Allein es ist notwendig, daß dieses Wirrwarr nicht zwecklos stattfindet und daß es auf ein verschwindendes Maß reduziert wird. Und dieses ist gut möglich – wir werden nicht müde, es zu wiederholen – wenn man sich an die Interessenten selbst wendet und nicht an die Bureaus; alsdann wird jedermann nur einem Minimum von Unzuträglichkeiten ausgesetzt sein.

Das Volk begeht Dummheit über Dummheit, wenn es in den Urnen zwischen den Schönrednern, zwischen jenen Prahlern wählen soll, welche sich die Ehre anmaßen, es zu vertreten, und beanspruchen, alles zu tun, alles zu wissen, alles zu organisieren. Aber wenn es sich darum handelt, etwas zu organisieren, etwas, das es kennt, was es direkt angeht, so macht es dies besser, als alle Bureaus. Hat man dies nicht in der Kommune gesehen? Sieht man es nicht alle Tage in jeder Landgemeinde?

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/82&oldid=- (Version vom 3.6.2018)