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Paris zu dem zu machen, was es heute ist: ein Zentrum der Industrie, des Handels, der Politik, der Kunst und der Wissenschaft; weil es eine Vergangenheit hat; weil seine Straßen dank der Literatur bekannt sind – in der Provinz wie im Ausland; weil es ein Produkt der Arbeit von 18 Jahrhunderten, von 50 Generationen der gesamten französischen Nation ist.

Wer hat da das Recht, den kleinsten Teil dieses Terrains oder das letzte der Häuser sein Eigen zu nennen, ohne eine schreiende Ungerechtigkeit zu begehen? Wer hat da ein Recht, das kleinste Teilchen des gemeinsamen Erbteils zu verkaufen, an wen es auch sei?

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Darüber, sagen wir, besteht unter den Arbeitern nur ein Einverständnis. Die Idee der unentgeltlichen Wohnung hat sich während der Belagerung von Paris klar offenbart, damals, als man klipp und klar den Erlaß des von den Eigentümern geforderten Mietzinses verlangte. Sie hat sich auch noch während der Kommune vom Jahre 1871 offenbart, als der Pariser Arbeiter von dem Rat der Kommune eine mannhafte Entscheidung bezüglich der Abschaffung des Mietzinses erwartete. Dieses wird immer die erste Sorge des Armen sein, sobald eine Revolution ausgebrochen ist.

In derartigen Zeiten oder überhaupt nicht bedarf der Arbeiter eines Schlupfwinkels, einer Wohnung. Doch so schlecht, so ungesund sie auch sei, es gibt immer einen Eigentümer, welcher die Proletarier daraus vertreiben könnte. Allerdings wird während der revolutionären Epoche der Eigentümer keinen Gerichtsvollzieher noch Polizisten an der Hand haben, der das Lumpenpack auf die Straße wirft. Aber wer weiß, ob sich nicht morgen schon eine neue Regierung, so revolutionär sie sich auch gebärdete, eine exekutive Gewalt schafft und die Polizeimeute gegen die Arbeiter los läßt. Man hat wohl gesehen, daß die Kommune den Erlaß des Mietzinses bis zum 1. April proklamierte – aber eben nur bis zum 1. April[UE 1]. Nach diesem Termin mußte er wieder erlegt werden. Selbst als in Paris alles „drunter und drüber“ war, selbst als die gesamte Industrie ruhte und der Revolutionär einzig auf seine 30 Sous (Mk. 1,20) angewiesen war.

Der Arbeiter muß wissen, daß eine Mietsfreiheit nicht allein die Folge einer zufälligen Desorganisation der exekutiven Macht sein darf. Er muß wissen, daß die Unentgeltlichkeit der Wohnung im Prinzip anerkannt und durch Volkszustimmung gewissermaßen sanktioniert ist; daß die unentgeltliche Wohnung ein Recht, ein vom Volke laut proklamiertes Recht bedeutet.

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Können wir nun erwarten, daß diese Maßnahme, so sehr dem Gerechtigkeitsgefühl jedes rechtlich denkenden Mannes zusagend, von den Sozialisten ergriffen werden wird, von jenen Sozialisten, die im Verein mit Bourgeois sich einst in einer provisorischen Regierung

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Dekret vom 30. März; nach diesem Dekret fand ein Erlaß der Mietsraten vom Oktober 1870, Januar und April 1871 statt.
Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/76&oldid=- (Version vom 3.6.2018)