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mittels Entbehrungen dahin gelangt ist, täglich 2 Mk., also monatlich 60 Mk. bei Seite zu legen.

Nehmen wir weiter an, daß er niemals in seinem Leben krank ist, daß er sich stets satt ißt, trotz seines Eifers, zu sparen, daß er sich nicht verheiratet, daß er keine Kinder hat, daß er nicht an der Schwindsucht stirbt – nehmen wir dies alles an!

Nun im Alter von 50 Jahren hätte er noch nicht einmal 15 000 Mk. erspart; und er würde während seines Alters nicht genug zum Leben haben, falls er arbeitsunfähig wird. Sicherlich nicht auf diese Weise sammeln sich die großen Vermögen an.

Aber betrachten wir jetzt einmal einen anderen Schuhmacher. Sobald er einige Pfennige erübrigt hat, legt er sie auf die hohe Kante, und die Sparkasse leiht sie gegen hohe Zinsen einem Bourgeois, der gerade im Begriff steht, eine Ausbeutung von Barfüßlern vorzunehmen. Alsdann wird er sich einen Lehrling nehmen, das Kind irgend eines armen Mannes, welcher sich glücklich schätzt, wenn sein Sohn nach Verlauf von fünf Jahren das Handwerk erlernt hat und dahin gelangt ist, seinen Lebensunterhalt zu gewinnen.

Der Lehrling „verdient“ seinem Meister natürlich etwas und wenn seine Kundschaft wächst, wird er sich beeilen, einen zweiten Lehrling zu nehmen. Später wird er sich noch zwei oder drei Arbeiter dazu halten, elende Menschen, welche glücklich sind, wenn sie für eine Tagesarbeit im Werte von 6 Mk. 3 Mk. beziehen. Und wenn unser Schuhmacher „Glück“ hat, das heißt, wenn er genügend „gerieben“ ist, so werden ihm seine Arbeiter und Lehrlinge einige 20 Mk. pro Tag zu seiner eigenen Arbeit „hinzuverdienen“. Er wird sein Unternehmen vergrößern, allmählig immer wohlhabender werden und es nicht mehr nötig haben, seinen Lebensunterhalt auf das gerade Notwendige zu beschränken. Seinem Sohne wird er schließlich etwas hinterlassen.

Das ist es, was man einen „sparsamen und soliden Mann“ nennt. Im Grunde genommen ist er aber auch weiter nichts, als ein Ausbeuter von Hungerleidern.

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Der Handel scheint eine Ausnahme von dieser Regel zu machen. „So ein Mann“, sagt man uns, „kauft Tee in China, importiert ihn nach Frankreich und erzielt auf sein Anlagekapital einen Gewinn von 30 Prozent. Er hat Niemanden ausgebeutet.“

Und dennoch ist der Fall der gleiche. Wenn unser Kaufmann den Tee auf seinem Rücken von China nach Frankreich transportiert hätte – alle Ehre! Ehemals, im Anfange des Mittelalters, betrieb man wohl den Handel auf diese Weise. Aber man gelangte auch niemals zu den erstaunlichen Vermögen unserer Tage: kaum, daß damals ein Kaufmann nach einer mühevollen und gefährlichen Reise einige Taler bei Seite legen konnte. Es war vielfach auch weniger das Verlangen nach Gewinn, als die Lust am Reisen und an Abenteuern, welche ihn zum Handel drängte.

Heute ist die Methode einfacher. Der Kaufmann, welcher ein Kapital besitzt, hat es zum Zwecke seiner Bereicherung nicht notwendig, sich aus seinem Kontor zu rühren. Er telegraphiert an einen

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/48&oldid=- (Version vom 21.5.2018)