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Formen, selbst im Schoße unserer heutigen Gesellschaften, welche den Individualismus predigen.

Und wenn morgen eine der großen Städte, sonst so egoistisch gesinnt, von irgend einem Unglück heimgesucht wird – einer Belagerung zum Beispiel –, so wird dieselbe Stadt beschließen, daß die Bedürfnisse, welche zuerst befriedigt werden müssen, die der Kinder und der Greise sind, und zwar ohne sich zu informieren, welche Dienste sie der Gesellschaft erwiesen haben oder erweisen werden; und es gilt zuerst die Kämpfer zu ernähren und für sie Sorge zu tragen – unabhängig von der Tapferkeit oder der Klugheit, die ein jeder noch beweisen soll, und Tausende von Männer und Frauen werden in Selbstverleugnung wetteifern um die Verwundeten zu pflegen.

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Die Tendenz zum Kommunismus existiert. Sie verschärft sich mit dem Augenblicke, wo die gebieterischsten Bedürfnisse eines jeden befriedigt sind, und zwar nach Maßgabe, als die Produktionskraft des Menschen wächst; sie verschärft sich noch mit jedem Male, wo eine große Idee sich an die Stelle der kleinlichen Sorgen des täglichen Lebens setzt.

Wie kann man also zweifeln, daß an dem Tage, wo die Produktionsmittel sich im Besitze der Gesamtheit befinden werden, wo die Arbeit eine gemeinschaftliche sein wird, wo die Arbeit, den Ehrenplatz in der Gesellschaft einnehmend, produktiver sein wird, als es die Bedürfnisse Aller erfordern, – wie kann man daran zweifeln, daß an jenem Tage diese Tendenz ihre Wirkungssphäre, – schon heute so mächtig – nicht so weit ausdehnen sollte, daß sie zum Fundament des gesamten sozialen Lebens wird?

Nach diesen Anzeichen und obendrein in Erwägung der praktischen Seite der Expropriation, die uns in den folgenden Kapiteln beschäftigen wird, halten wir es für unsere erste Aufgabe, – nachdem die Revolution die Macht, welche das heutige System schützt, gebrochen hat – sofort den Kommunismus zu verwirklichen.

Doch unser Kommunismus ist nicht derjenige der Phalansterien, noch derjenige der autoritären deutschen Theoretiker. Er ist der anarchistische Kommunismus, der Kommunismus ohne Regierung – derjenige freier Menschen. Er ist die Vereinigung der beiden von der Menschheit seit Alters her verfolgten Ziele: der ökonomischen Freiheit und der politischen Freiheit.

II.

Indem wir „die Anarchie“ als Ideal politischer Organisation annehmen, formulieren wir gleichfalls nur eine zweite ausgesprochene Tendenz der Menschheit. Jedesmal, wenn es der Entwicklungsgang der europäischen Gesellschaften erlaubt hat, schüttelten diese das Joch der Autorität ab und arbeiteten ein System aus, das auf den Prinzipien der individuellen Freiheit basiert war. Und wir sehen in der Geschichte, daß die Perioden, in welchen infolge partieller oder allgemeiner Empörungen die Regierungen erschüttert waren, die Epochen eines

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/39&oldid=- (Version vom 3.6.2018)