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schützen. Er hatte einen Augenblick geglaubt, und diejenigen, welche seine Ideen predigten, gleichfalls, daß er sich ganz vom Staate und der Gesellschaft befreien könnte. „Mittels Geldes“, sagte er, „kann ich alles, dessen ich bedarf, kaufen.“ Aber das Individuum ist fehl gegangen, und die moderne Geschichte führt es zu der Erkenntnis zurück, daß es ohne das Zusammenwirken Aller nichts vermag, selbst mit seinen Geldspinden voller Gold.

In der Tat: neben dem individualistischen Zuge konstatieren wir in der ganzen modernen Geschichte die Tendenz, einerseits zu erhalten, was von dem partiellen Kommunismus des Altertums übrig geblieben ist, und andererseits das kommunistische Prinzip in tausend und aber tausend Kundgebungen des Lebens wieder zur Geltung zu bringen.

Als es den Kommunen des 10., 11. und 12. Jahrhunderts geglückt war, sich von den weltlichen oder kirchlichen Herren zu emanzipieren, gaben sie sofort dem Prinzip der gemeinschaftlichen Arbeit und des gemeinschaftlichen Genusses eine große Ausdehnung.

Die Stadt – nicht die Privatleute – betrachtete die Schiffe und entsendete die Karawanen für den fernen Handel, ihr Ertrag kam Allen und nicht einzelnen Individuen zu Gute. Die Stadt kaufte auch die Lebensmittel für ihre Bewohner. Die Spuren dieser Institutionen haben sich bis zum 19. Jahrhundert erhalten und die Völker bewahren ihnen noch heute in ihren Legenden ein frommes Andenken.

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Dies alles ist verschwunden. Aber die Landgemeinde kämpft noch heute für die Aufrechterhaltung der letzten Ueberbleibsel des Kommunismus, und dies stets mit Erfolg, wenn nicht der Staat sein gewichtiges Schwert in die Wagschale wirft.

Zu gleicher Zeit entstehen unter tausend verschiedenen Gesichtspunkten neue Organisationen, basiert auf diesem selben Prinzip: „Jedem nach seinen Bedürfnissen“, denn ohne eine gewisse Dosis Kommunismus können die gegenwärtigen Gesellschaften nicht existieren. Trotz der engherzigen egoistischen Richtung, welche der Geist durch die Warenproduktion erhalten hat, offenbart sich die kommunistische Tendenz alle Augenblicke und bürgert sich in unseren Beziehungen unter allen möglichen Formen ein.

Die Brücke, für deren Passage einst von den Passanten ein Zoll bezahlt wurde, ist öffentliches Eigentum geworden. Eine Bezahlung für die Benutzung der gepflasterten Landstraßen, die ehemals nach Meilen bemessen wurde, besteht nur noch im Orient. Die Museen, die jedem offen stehenden Bibliotheken, die unentgeltlichen Schulen, die Speisungen der Kinder auf Gemeindekosten, die öffentlichen Parks und Gärten, die gepflasterten und erleuchteten Straßen, Jedermann unentgeltlich zugänglich, die Wasserleitung mit der allgemeinen Tendenz, die Bezahlung nicht nach der konsumierten Quantität zu berechnen – alle diese und noch viele andere Institutionen sind gegründet auf dem Prinzip: „Nehmet so viel, als ihr bedürft.“

Die Eisenbahnen, die Pferdebahnen führen schon monatliche oder jährliche Abonnementsbillets ein, ohne der Anzahl der Fahrten Rechnung

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/37&oldid=- (Version vom 3.6.2018)