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Während dieser Zeit leidet das Volk. Die Fabriken feiern, die Werkstätten sind geschlossen, der Handel liegt brach. Der Arbeiter bezieht nicht einmal mehr den geringen Lohn, welchen er vordem hatte, die Preise der Lebensmittel steigen.

Mit jener heroischen Ergebenheit, welche stets das Volk charakterisiert hat, und welche sich in allen außerordentlichen Zeiten zur Erhabenheit steigerte, geduldet es sich. Das Volk war es, welches im Jahre 1848 ausrief: „Ertragen wir drei Monate des Elends im Dienst der Republik“, während die „Repräsentanten“ und die Herren der neuen Regierung bis auf den letzten Polizisten herab regelmäßig ihr Gehalt bezogen. Das Volk leidet. Mit seinem kindlichen Vertrauen, mit der sorglosen Gutmütigkeit der Masse, welche an ihre Anführer glaubt, erwartet es, daß man dort oben, in der Kammer, im Stadthaus, im Komitee der öffentlichen Sicherheit sich seiner annähme.

Aber dort oben denkt man eher an alles andere, nur nicht an die Leiden des Volkes. Als die Hungersnot im Jahre 1793 Frankreich verheert und die Revolution selbst in Frage stellt, als das Volk zum tiefsten Elend angelangt ist – während die Elyseeischen Gefilde von prächtigen Wagen bevölkert werden, in denen Frauen ihren luxuriösen Schmuck zur Schau tragen –, da drängt Robespierre die Jakobiner, eine Diskussion seiner Denkschrift über englische Verfassung herbeizuführen. Als der Arbeiter im Jahre 1848 unter dem allgemeinen Stillstand der Industrie leidet, streiten sich die provisorische Regierung und die Kammer über die Militärpensionen und die Gefängnisarbeit herum, ohne sich zu fragen, wovon während dieser Krisis das Volk lebte. Und wenn man der Kommune von Paris, welche unter dem Kanonendonner der Preußen geboren wurde und nur 70 Tage gewährt hat, einen Vorwurf machen will, so ist es wieder der, daß sie noch nicht begriffen hatte, daß die kommunale Revolution ohne gut gespeiste Kämpfer nicht triumphieren könnte, daß man mit 30 Sous (Mk. 1,20) täglich nicht auf den Befestigungen kämpfen und zu gleicher Zeit seine Familie erhalten könne.

Das Volk leidet und fragt: „Was soll geschehen, damit das Elend endet?“

III.

Es scheint uns, daß es auf diese Frage nur eine Antwort geben kann:

– Anzuerkennen und laut zu proklamieren, daß Jeder, welches auch sein sogenannter Stand in der Vergangenheit war, mag er stark oder schwach, tüchtig oder unfähig sein, vor allem das Recht zu leben, besitzt; und daß die Gesellschaft unter Alle ohne Ausnahme die Existenzmittel, über welche sie verfügt, zu verteilen hat. Dies anzuerkennen, zu proklamieren und danach zu handeln.

– Derart zu handeln, daß der Arbeiter mit dem ersten Tag der Revolution weiß, daß eine neue Aera angebrochen ist: daß zukünftig niemand mehr gezwungen ist, unter den Brücken – neben Palästen – zu schlafen, ohne Nahrung zu bleiben, wo es so viele Nahrungsmittel gibt, vor Kälte zittert – neben Pelzmagazinen. Alles soll Allen gehören in Wirklichkeit wie im Prinzip. Endlich soll in der Geschichte eine Revolution

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/32&oldid=- (Version vom 21.5.2018)