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Er muß seine Arbeitskraft für einen kärglichen Bissen Brot, der ihm jeden Augenblick auch noch ganz verloren gehen kann, verkaufen. Sein Vater und sein Großvater haben sich gemüht, dieses Feld trocken zu legen, jenes Hüttenwerk zu erbauen, jene Maschinen zu vervollkommnen; sie hatten gearbeitet nach voller Maßgabe ihrer Kräfte – und wer kann mehr als dies tun? –, und er, er kommt ärmer als der letzte der Wilden auf die Welt. Wenn er die Erlaubnis erhält, ein Feld zu bebauen, so geschieht dies nur unter der Bedingung, daß er ein Viertel der Regierung abtreten muß. Und diese Steuer, welche von ihm im Voraus vom Staate, vom Kapitalisten, vom Gutsherrn, vom Vermittler erhoben wird, vergrößert sich täglich und läßt ihm in den seltensten Fällen die Möglichkeit, eine Verbesserung des Bodens vorzunehmen. Ist er in der Industrie tätig, so erlaubt man ihm gleichfalls nur zu arbeiten – und dies übrigens nicht einmal immer – unter der Bedingung, daß er sich mit der Hälfte oder gar einem Drittel des von ihm Erzeugten begnügt; der Rest fällt dem zu, welchen das Gesetz als Eigentümer der Maschine anerkennt.

Wir zetern gegen den Feudal-Baron, welcher dem Bauer nicht gestattet, das Land zu berühren, wenn er ihm nicht ein Viertel seiner Ernte überließ. Wir nennen jene Zeit eine barbarische. Indeß nur die Form der Ausbeutung hat gewechselt, der Grad derselben ist der gleiche geblieben. Der Arbeiter nimmt heute unter dem Namen des freien Kontraktes Feudallasten auf sich; denn nirgends würde er bessere Bedingungen finden. Wo einmal alles das Eigentum eines Herren geworden, muß er sich fügen oder Hungers sterben.

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Bei dieser Lage der Dinge ist es nur natürlich, daß unsere gesamte Produktion eine widersinnige Richtung angenommen hat. Die kapitalistische Unternehmung entspringt nicht den wirklichen Bedürfnissen der Gesellschaft: ihr einziges Ziel ist, die Einkünfte des Unternehmens zu steigern. Daher das fortwährende Fluktuieren in der Industrie, daher die chronischen Krisen, von denen eine jede die Arbeiter zu Hunderttausenden auf das Straßenpflaster wirft.

Da die Arbeiter mit ihrem geringen Lohn die Reichtümer, welche sie produziert haben, nicht kaufen können, so sucht die Industrie ihre Waren im Ausland unter den Ausbeutern anderer Nationen abzusetzen. Im Orient, in Afrika, ganz gleich wo, Aegypten, Tonkin oder Kongo, muß der Europäer unter diesen Umständen die Zahl seiner Hörigen vermehren. Aber überall findet er Konkurrenten, denn alle Nationen entwickeln sich im gleichen Sinne. Und damit sind die Kriege – der Krieg in Permanenz – gegeben; sie müssen ausbrechen, weil jeder der Herr der Märkte sein will. Kriege für die Besitzungen im Orient, Kriege für die Herrschaft der Meere, Kriege, um Einfuhrzölle aufzuzwingen und seinen Nachbarn Bedingungen vorzuschreiben; Kriege gegen Diejenigen, welche sich dagegen auflehnen. Der Donner der Kanonen verstummt nicht mehr in Europa,

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/23&oldid=- (Version vom 21.5.2018)