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wir in Europa bebauen, ist gedüngt mit dem Schweiße mehrerer Rassen; jede Straße hat eine ganze Geschichte von Frondiensten, von übermenschlicher Arbeit, von Leiden des Volkes. Jede Meile Eisenbahn, jeder Meter eines Tunnels haben Menschenblut erfordert.

Die Gänge der Bergwerke tragen noch ganz frische Spuren von den Hieben, die der Bergmann gegen den Felsen geführt hat, und schon könnte jeder Pfeiler der unterirdischen Galerien gekennzeichnet sein durch das Grab eines Bergmanns, der in der Blüte der Jahre vom schlagenden Wetter, durch einen Einsturz oder eine Ueberschwemmung hinweggerafft wurde; und man weiß, was für Tränen, Entbehrungen und namenloses Elend jedes dieser Gräber der Familie gekostet hat, welche von dem mageren Lohn des im Schutte verscharrten Mannes gelebt hat.

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Die Städte, untereinander durch Eisenbahngürtel und Schiffahrtslinien verbunden, sind Organismen von einem Jahrhunderte langen Leben. Durchgrabet ihren Untergrund, und ihr werdet die Schichten finden, welche davon Zeugnis ablegen, welche aber jetzt durch Straßen, Häuser, Theater, Spielplätze und öffentliche Bauten verdeckt sind. Vertieft Euch in die Geschichte, und Ihr werdet sehen, wie die Zivilisation der Städte, ihre Industrie, ihr Geist ganz allmählig herangewachsen und herangereift sind durch die vereinigten Bemühungen aller ihrer Bewohner; so allein konnten sie das werden, was sie heute sind.

Und weiter – der Wert eines jeden Hauses, einer jeden Fabrik, eines jeden Bergwerkes, eines jeden Magazins ist wieder nur das Resultat der aufgehäuften Arbeit von Millionen begrabener Arbeiter, und sie bewahren ihn einzig nur durch die Anstrengungen ganzer Legionen von Menschen, welche über den ganzen Erdball hin wohnen. Jedes Atömchen dessen, was wir Nationalreichtum nennen, erwirbt seinen Wert erst durch die Tatsache, daß es ein Teil dieses unermeßlichen Ganzen ist. Was würde ein Dock in London, ein großes Magazin in Paris sein, wenn es nicht in diesen großen Zentren des internationalen Handels gelegen wäre? Was wären unsere Bergwerke, unsere Fabriken, unsere Bauplätze, unsere Eisenbahnen ohne die Masse der täglich zu Wasser und zu Lande transportierten Waren?

Millionen menschlicher Wesen haben daran gearbeitet, diese Zivilisation, deren wir uns heute rühmen, zu schaffen. Andere Millionen, verstreut über alle Teile des Erdballs, arbeiten daran, sie zu erhalten. Ohne sie würden nach Verlauf von 50 Jahren nur noch Schutthaufen von vergangener Herrlichkeit zeugen.

Es gibt nichts, und sei es ein Gedanke oder eine Erfindung, was nicht Kollektivarbeit wäre, was nicht in der Vergangenheit und der Gegenwart zugleich seinen Ursprung hätte. Tausende von Erfindern, bekannt oder unbekannt, gestorben im Elend, haben die Erfindungen dieser Maschinen, in denen der Mensch von heute sein Genie bewundert, vorbereitet. Tausende von Schriftstellern, Dichtern und Gelehrten haben an dem Aufbau unseres Wissens, an der Beseitigung der Irrtümer, an der Schaffung jener wissenschaftlichen Atmosphäre, ohne welche

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/20&oldid=- (Version vom 21.5.2018)