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die Verkehrswege, die Nahrungsmittel, die Wohnungen, die Erziehung, das Wissen, weil alles dieses der ausschließliche Besitz einiger Weniger geworden ist – im Verlauf einer langen Geschichtsperiode voller Raub, Auswanderungen, Kriege, Unwissenheit und Unterdrückung, welche die Menschheit durchlebte, ehe sie die Naturkräfte zu bändigen gelernt hatte.

Weil diese Wenigen sogenannte Rechte, welche sie in der Vergangenheit erworben haben wollen, vorschützen und auf Grund dessen sich heute zwei Drittel des Ertrages der menschlichen Arbeit, mit der sie die unsinnigste und empörendste Verschwendung treiben, aneignen; weil sie die Massen dahin gebracht haben, daß diese nie mehr für einen Monat, kaum einmal für acht Tage genug zu leben haben, weil sie infolgedessen die Macht haben (welche sie auch ausnutzen), Niemanden arbeiten zu lassen, der ihnen nicht stillschweigend den Löwenanteil am Gewinn überläßt; weil sie die Produktion dessen erzwingen, was dem Ausbeuter den größten Gewinn verheißt.

Das ist das Wesen des Kapitalismus!

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Wie sieht ein zivilisiertes Land heute aus? Die Wälder, welche es ehemals bedeckten, sind gelichtet, die Sümpfe sind getrocknet, das Klima ist ein gesundes, kurz, das Land ist bewohnbar geworden. Der Boden, welcher ehemals nur Gras und Kräuter trug, liefert heute reichliche Getreide-Ernten. Die Felsen, welche seiner Zeit die Täler des Südens überhingen, sind in Terrassen umgewandelt, an denen der Weinstock mit seiner goldigen Frucht emporklettert. Die wilden Kräuter und Sträucher, welche früher nur herbe Früchte und ungenießbare Wurzeln lieferten, sind auf dem Wege schrittweiser Veredlung in nahrhafte Gemüse, in Bäume, die ausgesuchte Früchte tragen, verwandelt worden.

Tausende von Straßen, mit Steinen und Eisen gepflastert, durchschneiden das Land, durchbohren die Berge; die Lokomotive pfeift in den wilden Schluchten der Alpen, des Kaukasus, des Himalaya. Die Flüsse sind schiffbar gemacht worden. Die Küsten, ausgelotet und sorglich vermessen, gestatten ein leichtes Landen; künstliche Häfen, unter unsäglichen Mühen ausgegraben und gegen das Wüten des Ozeans geschützt, gewähren Schiffern sichere Zuflucht. Tiefe Schachte durchstechen die Felsen; ganze Labyrinthe unterirdischer Gänge breiten sich überall dort aus, wo es Kohle zu fördern oder Erze zu graben gibt. An allen Punkten, wo Straßen sich kreuzen, sind Städte emporgewachsen, zu Großstädten geworden, und in ihren Mauern finden sich alle Schätze der Industrie, der Kunst und der Wissenschaft.

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Ganze Generationen, geboren und gestorben im Elend, unterdrückt, entkräftet durch Ueberarbeit und mißhandelt von ihren Herren, haben diese ungeheuere Erbschaft dem neunzehnten Jahrhundert vermacht.

Während Tausenden von Jahren haben Millionen von Menschen daran gearbeitet, die Wälder zu lichten, die Sümpfe auszutrocknen, die Straßen zu bahnen, die Flüsse einzudeichen. Jeder Hektar Erde, welchen

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/19&oldid=- (Version vom 21.5.2018)