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Dieses erscheint für den ersten Augenblick paradox, weil man im allgemeinen annimmt, daß der Wein im Süden Europas von selbst wächst und die Arbeit des Winzers nichts kostet. Die Gemüse- und Obstgärtner sind auch weit entfernt, uns dies zu bestreiten, sie bestätigen sogar unsere Behauptungen. „Die vorteilhafteste Kultur Englands ist der Weinbau“, sagt ein praktischer Gärtner, der Redakteur des englischen „Journals für Gartenbau“. Uebrigens haben auch die Preise, wie man weiß, ihre Sprache.

Deutet man diese Tatsachen für den Kommunismus, so kommen wir zu dem Resultat, daß ein Mann oder eine Frau, die von ihrer Muße im Jahre 20 Stunden darauf verwenden, um 2 oder 3 Weinstöcke, die unter einem Glasdach (ganz gleich, in welchem Klima Europas) gepflanzt sind, zu pflegen – eine keineswegs unangenehme Mühe – soviel ernten werden, als man in ihrer Familie oder ihrem Freundeskreis während eines Jahres verzehren kann. Und dieses trifft nicht allein für den Wein zu, sondern auch für die Früchte aller akklimatisierten Obstarten.

Eine Kommune, welche die Errungenschaften der Kleinkultur im großen anwendet, wird alle möglichen Gemüse, einheimische wie ausländische, und alle erwünschten Früchte haben, ohne dafür je mehr als 10 Arbeitsstunden pro Jahr und pro Einwohner zu verausgaben.

Das sind Tatsachen, die man schon morgen zur Wahrheit machen kann. Es genügte dazu, daß eine Gruppe von Arbeitern während einiger Monate die Produktion gewisser Luxusgegenstände aufgäbe und ihre Arbeit auf die Umgestaltung von 100 Hektaren der Ebene von Gennevilliers in eine Reihe von Gemüsegärten verwendete (jeder mit seinem Wärmhaus für Sämereien und junge Pflanzen ausgestattet) und außerdem zur Erzielung der Luxusfrüchte noch 50 Hektar mit ökonomisch eingerichteten Wärmehäusern versähe und die Sorge für alle Details der Organisation den Gemüsegärtnern und Obstzüchtern von Fach überließe.

Wenn man mit dem Durchschnittsresultat von Jersey rechnet, wo die Kultur eines Hektars unter Glasdach die Arbeit von 7 bis 8 Mann erfordert – was weniger als 24 000 Arbeitsstunden im Jahre ausmacht, – so würde die Unterhaltung dieser 150 ha jährlich ungefähr 3 600 000 Arbeitsstunden erfordern. Hundert Gärtner von Fach brauchten dieser Aufgabe täglich nur 5 Stunden zu widmen, – alles übrige könnte von Leuten besorgt werden, die, ohne Gärtner von Profession zu sein, den Spaten, den Rechen, die Bewässerungspumpe zu handhaben oder einen Heizofen zu überwachen verstehen.

Diese Arbeit würde, niedrig gerechnet – wir haben es im vorigen Kapitel gesehen – alles Notwendige und allen möglichen Luxus an Früchten und Gemüsen für 75 000 oder gar 100 000 Personen ergeben. Nimmt man an, daß es in dieser Zahl 36 000 Erwachsene gäbe, die eine Zeitlang in einem Gemüsegarten zu arbeiten verlangten, so würde Jeder 100 Stunden, die über ein ganzes Jahr zu verteilen sind, darauf zu verwenden haben. Diese Arbeitsstunden würden Stunden der Erholung werden, verbracht mit Freunden, mit den Kindern, in herrlichen Gärten, schöneren wahrscheinlich, als denen der sagenhaften Semiramis.

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/188&oldid=- (Version vom 21.5.2018)