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alt ist, und einen Luxusgegenstand betrifft – den Weinbau. Diese Ziffern lassen weitere Schlüsse zu.

Im Norden Englands, auf der Grenze von Schottland, wo die Kohle an den Oeffnungen der Schachte nur 4 Francs pro Tonne kostet, widmet man sich seit langer Zeit der Weinkultur in Wärmhäusern. Vor dreißig Jahren wurden diese Trauben, die zum Januar reiften, vom Gärtner pro Pfund zu 25 Francs verkauft und man bezog sie damals vom Kaufmann pro Pfund zu 50 Francs für die Tafel von Napoleon III. Heute verkauft derselbe Produzent das Pfund nicht höher als zu 3 Frcs. Er selbst teilt uns dies in einem jüngst erschienenen Artikel eines Journals für Gartenbau mit. Es gibt zu viele Konkurrenten, die Tonnen über Tonnen von Trauben alljährlich nach London und Paris senden, und dank der Billigkeit der Kohle und einer intelligenten Kultur, wächst der Wein im Norden und im Winter und macht – im Gegensatz zu den meisten Früchten – eine Reise nach dem Süden. Im Mai sind die englischen Trauben von Jersey zu 2 Francs und billiger pro Pfund bei den Gärtnern verkäuflich, und selbst dieser Preis hält sich nur wie jener vor 30 Jahren, wenn die Konkurrenz noch verhältnismäßig schwach ist. Im Oktober werden die Trauben, die in immensen Quantitäten in der Umgegend von London gewonnen werden – stets unter Glas, aber mit geringer künstlicher Wärme – zu dem gleichen Preis verkauft, als sie in den Weinbergen der Schweiz oder des Rheins käuflich sind, d. h. für 20–25 Pfg. das Pfund. Und dennoch sind sie noch um zwei Drittel zu teuer, dies in Folge der enormen Bodenpracht, der Kosten des Inventars und der Heizung, auf welche der Gärtner einen horrenden Tribut an den Landeigentümer, den Industriellen und den Zwischenhändler zahlt. Danach könnte man mit vollem Recht sagen, daß es fast nichts kostet, um im Herbst unter der Breite und dem nebligen Klima von London vorzügliche Trauben zu haben. In einer seiner Vorstädte z. B. liefert mir ein kümmerliches Schutzdach aus Glas, das sich an mein Häuschen lehnt und eine Länge von 3 m und eine Breite von 2 m hat, jährlich im Oktober und schon seit 3 Jahren fast 50 Pfund Wein von ganz ausgezeichnetem Geschmack. Der Ertrag rührt von einem einzigen 6jährigen Weinstock her. Mein Schutzdach ist obendrein so mangelhaft, daß es durch dasselbe hindurchregnet. Des Nachts ist die Temperatur unter ihm fast die gleiche, wie die in freier Luft. Es ist klar, daß man nicht heizt, solange man für die Straße heizen soll. Und die Mühen, die er erfordert, sind: das Beschneiden des Weinstockes, das eine halbe Stunde in Anspruch nimmt, und das Heranschaffen einer Karre Mist, die man am Fuße des Stockes umstülpt.

Wenn man andererseits die außergewöhnlichen Mühen, die man dem Wein an den Ufern des Rheins oder des Genfer Sees widmet, abschätzt, die Arbeit, welche der Bau der Steinterassen an den Abhängen, der Transport des Düngers und auch häufig der Erde auf eine Anhöhe von 2–300 Fuß repräsentiert, so gelangt man zu dem Schluß, daß, alles gerechnet, die Arbeit, welche die Kultur des Weins in der Schweiz und an den Ufern des Rheins erfordert, beträchtlich höher ist, als die, welche sich unter Glasbedachung in den Vorstädten von London als nötig erweist.

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/187&oldid=- (Version vom 21.5.2018)