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Während die Gelehrten, an der Spitze Liebig, der Schöpfer der Agrikulturchemie, sehr häufig in ihrer Theoretikerblindheit fehlgingen, haben die ungelernten Landwirte dem Glücke der Menschheit neue Wege gezeigt. Die Gemüsegärtner von Paris, von Troyes, Rouen, die englischen Gärten, die flämischen Farmer, die Landwirte von Jersey, Guernesey und den Scilly-Inseln haben der Landwirtschaft einen so weiten Horizont eröffnet, daß das Auge ihn kaum zu fassen wagt.

Während eine Bauernfamilie wenigstens 7 oder 8 Hektare bedurfte, um die zu ihrer Erhaltung nötigen Bodenprodukte erzielen zu können, – und man weiß, wie schlecht die Bauern leben – so kann man heute nicht einmal bestimmen, wie winzig klein wirklich der Raum sein wird, der zur Ernährung einer ganzen Familie nicht allein vom Standpunkt des Notwendigen, sondern auch des Luxus erforderlich sein wird – sobald man ihn nur nach den Prinzipien der modernen Landwirtschaft bewirtschaftet. Jeder Tag fast setzt diese Grenze herab. Und wenn man uns fragt, wie groß die Anzahl der Personen sein wird, die auf einer Quadratmeile werden leben können, ohne landwirtschaftliche Produkte von anderwärts zu importieren, so würde es uns schwierig sein, diese Frage genau zu beantworten. Diese Zahl vergrößert sich in gleichem Schritte mit den rapiden Fortschritten der Landwirtschaft.

Vor zehn Jahren konnte man schon behaupten, daß eine Bevölkerung von 100 Millionen sehr gut, und ohne etwas zu importieren, von den Bodenprodukten Frankreichs leben könnte. Doch wenn man heute die vor wenigen Jahren in Frankreich wie in England gemachten Fortschritte ins Auge faßt, wenn man den neuen Horizont betrachtet, der sich vor uns eröffnet, so werden wir sagen, daß man die Erde nur in der Weise zu kultivieren braucht, wie man sie schon heute in vielen Gegenden, sogar bei armem Boden kultiviert, und 100 Millionen Bewohner auf den 50 Millionen Hektaren französischer Erde sind nur ein Bruchteil im Verhältnis zu der Zahl Menschen, welche dieser Boden ernähren könnte. Die Bevölkerung wird und kann sich ebenso schnell wie jetzt vermehren; der Mensch wird auch dementsprechend mehr von der Erde zu fordern wissen.

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In jedem Fall – wir werden es sehen – kann man es als bewiesen betrachten, daß, wenn z. B. Paris und die beiden Departements Seine und Seine-et-Oise sich morgen zu einer kommunistischen Gemeinde vereinigen würden, in welcher alle mit ihren Armen arbeiten, und wenn dann die ganze übrige Welt sich weigerte, dieser einen einzigen Zentner Weizen, ein einziges Haupt Rindvieh, einen einzigen Korb Früchte zu senden, und ihr nur das Territorium dieser beiden Departements lassen würde – so könnte diese Gemeinde nicht nur das Getreide, das Fleisch und die notwendigen Gemüse, sondern auch noch alle Luxusfrüchte für die ländliche wie städtische Bevölkerung in genügenden Quantitäten produzieren.

Und wir behaupten außerdem, daß der Totalaufwand an menschlicher Arbeitskraft um vieles geringer sein würde, als der, welcher gegenwärtig zur Ernährung dieser Bevölkerung erfordert wird – durch den Konsum von Getreide, das in der Auvergne und in Rußland gebaut ist,

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/175&oldid=- (Version vom 21.5.2018)