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UNSERE REICHTÜMER.

I.

Die Menschheit hat einen weiten Weg seit jenen verflossenen Zeitaltern zurückgelegt, in welchen der Mensch noch aus Kieselsteinen seine kümmerlichen Werkzeuge formte, wo er noch von den Zufälligkeiten der Jagd lebte und als gesamte Erbschaft seinen Kindern einen Schlupfwinkel unter Felsen, ein paar armselige Steinwerkzeuge hinterließ, und im übrigen sie der Natur preisgab, der gewaltigen, furchtbaren Natur, mit der sie den Kampf aufnehmen mußten, um ihre elende Existenz zu fristen.

Indeß, während dieser wirren Epoche, welche tausend und aber tausend Jahre gewährt hat, hat das Menschengeschlecht unerhörte Schätze gesammelt. Es hat den Boden urbar gemacht, die Sümpfe getrocknet, die Wälder ausgerodet, Straßen angelegt, gebaut, erfunden, beobachtet, gedacht; es hat einen komplizierten Werkzeugsapparat geschaffen, der Natur ihre Geheimnisse entrissen, den Dampf gebändigt; kurz, man hat es dahin gebracht, daß das Kind des zivilisierten Menschen heute bei seiner Geburt ein unermeßliches, von seinen Vorfahren aufgehäuftes Kapital vorfindet. Und dieses Kapital erlaubt heute jedem, falls er nur seine Arbeit mit der anderer kombiniert, Reichtümer zu gewinnen, welche die Träume der Orientalen in ihren Erzählungen von „Tausend und eine Nacht“ weit übertreffen.

*

Der Boden, soweit er kultiviert ist, und wenn man ihn nur zweckmäßig bestellt und für die Saat ausgewählte Körner verwendet, ist bereit, sich mit üppigen Ernten zu schmücken, reicheren Ernten, als es die Befriedigung aller menschlichen Bedürfnisse erforderte. Und die Mittel, deren sich die Landwirtschaft dazu bedient, sind bekannt.

Auf dem jungfräulichen Boden der Prairien Amerikas produzieren hundert Menschen mit Hilfe gewaltiger Maschinen in einigen Monaten soviel Getreide, als zur Erhaltung von 10 000 Menschen während eines ganzen Jahres notwendig ist. Da, wo der Mensch seinen Ertrag verdoppeln, verdreifachen, verhundertfachen will, fabriziert er sich den geeigneten Boden, wendet er jeder Pflanze die Sorge zu, deren sie bedarf, und er erzielt geradezu fabelhafte Ernten. Und während der Jäger sich ehemals hundert Quadratkilometer bemächtigen mußte, um die Nahrung für seine Familie zu finden, läßt der zivilisierte[WS 1] Mensch heute mit unendlich geringerer Mühe und weit größerer Sicherheit auf

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zivilierte
Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/17&oldid=- (Version vom 21.5.2018)