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industrielles geworden. Es bezieht fast nichts mehr von England, sehr wenig noch von Deutschland.

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Die Oekonomisten machen die Zölle dafür verantwortlich – doch die Manufakturprodukte werden in Rußland zu dem gleichen Preise wie in London verkauft. Das Kapital kennt kein Vaterland: deutsche wie englische Kapitalisten im Gefolge von Ingenieuren und Zwischenmeistern ihrer Nationen haben die Manufakturen nach Rußland und Polen verpflanzt, die heute gegen die besten Manufakturen Englands mit Produkten erster Qualität konkurrieren. Man schaffe die Zölle ab, und die Manufakturen der heutigen protektionistischen Länder werden nur dadurch gewinnen. In diesem Augenblick sind englische Ingenieure sogar im Begriff, den Tuch- und Wollenexporten des Occidents den Gnadenstoß zu geben: sie wandern nach dem Süden Rußlands und errichten dort große Wollwaren-Manufakturen[WS 1], die mit den vervollkommnetsten Maschinen Bradfords ausgestattet sind, – in zehn Jahren wird Rußland nur noch englische Tuche und französische Wollzeuge als Muster importieren.

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Die große Industrie schreitet indes nicht allein nach dem Orient fort: sie verbreitet sich auch über die südlichen Halbinseln Europas. Die Ausstellung in Turin von Jahre 1884 hat der Welt die Fortschritte der italienischen Industrie vor Augen geführt, und verhehlen wir es uns nicht: der Haß zwischen der französischen und italienischen Bourgeoisie hat keinen andern Ursprung als ihre industrielle Rivalität. Italien emanzipiert sich von der französischen Oberherrschaft; es macht den französischen Kaufleuten im Mittelmeer und im Orient Konkurrenz. Deswegen und aus keinem andern Grunde wird eines Tages an der italienischen Grenze Blut fließen – es müßte denn gerade die Revolution das Vergießen dieses kostbaren Blutes verhindern.

Wir könnten auch die rapiden Fortschritte Spaniens auf dem Wege zur Großindustrie erwähnen. Aber beschäftigen wir uns lieber mit Brasilien. Hatten die Oekonomisten Brasilien nicht für die Ewigkeit dazu verdammt, Baumwolle als Rohstoff[WS 2] zu exportieren und von Europa die verarbeitete Baumwolle zu importieren? Vor zwanzig Jahren gab es in Brasilien allerdings nicht mehr als neun elende kleine Baumwollen-Manufakturen mit im Ganzen 385 Spindeln. Heute hat es deren 46; fünf unter ihnen allein verfügen über 40 000 Spindeln und werfen jährlich 30 000 000 Meter Baumwollenzeug auf den Markt.

Sogar Mexiko macht sich daran, Baumwollenwaren zu fabrizieren, anstatt Sie von Europa zu importieren. Und was die Vereinigten Staaten anbelangt, so haben sie sich längst von der europäischen Oberherrschaft befreit. Die Großindustrie hat sich daselbst in enormer Weise entwickelt, sie hat über die Europas den Triumph davongetragen.

Doch Indien ist es, das den Anhängern von der Spezialisation der nationalen Industrien das eklatanteste Dementi geben muß.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wollwaren- Manufakturen
  2. Vorlage: Rohsoff
Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/166&oldid=- (Version vom 21.5.2018)