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Baumwollwarenproduktion, oder Lyon auf dem der Seidenspinnerei aufzuweisen hat, werden in den neuen deutschen Fabriken verwertet. Wenn es zweier oder dreier Generationen von Arbeitern bedurfte, um die modernen Maschinen Lyons oder Manchesters zu schaffen, so übernimmt Deutschland diese in ihrer ganzen Vervollkommnung. Seine technischen Schulen, angepaßt den Bedürfnissen der Industrie, liefern dieser eine Armee intelligenter Arbeiter, praktischer Ingenieure, die mit der Hand wie mit dem Kopf zu arbeiten wissen. Die deutsche Industrie beginnt heute auf denselben Punkt zu kommen, auf den Manchester und Lyon nach fünfzigjährigen Anstrengungen, Versuchen und Irrungen gelangt sind.

Daraus ergibt sich, daß Deutschland, da es am eigenen Herd alles ebensogut fabriziert, von Jahr zu Jahr seine Importe aus Frankreich und England verringert. Es ist sogar schon deren Rivalin für den Export nach Asien und Afrika geworden, und was noch mehr sagen will, sogar schon auf den Märkten von Paris und London. Die Leute mit engem Gesichtskreise werden sicherlich gegen den Vertrag von Frankfurt zetern; sie werden die deutsche Konkurrenz durch winzige Differenzen in den Eisenbahntarifen erklären; sie werden sagen, daß der Deutsche für einen Hungerlohn arbeitet usw. usw. Doch diese Leute halten sich nur an die nebensächlichen Punkte einer jeden Frage und übersehen die großen historischen Fakta. Es ist unbestreitbar, daß die Großindustrie – ehemals das Privilegium von England und Frankreich – auch im Osten festen Fuß gefaßt hat; sie hat in Deutschland ein junges, energisches Volk und eine intelligente Bourgeoisie gefunden, die ihrerseits profitgierig genug ist, um sich gleichfalls am Exporthandel zu bereichern.

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Während Deutschland sich von der englischen und französischen Bevormundung emanzipierte und selbst seine Baumwollwaren, Stoffe, Maschinen – alle Manufakturprodukte in einem Wort – für sich fabrizierte, verpflanzte sich die Großindustrie auch nach Rußland, wo die Entwickelung der Manufaktur eine um so überraschendere ist, als sie erst kürzlich daselbst Boden gefaßt hat.

In der Epoche der Abschaffung der Leibeigenschaft (im Jahre 1861) hatte Rußland fast gar keine Industrie aufzuweisen. Alles, was es an Maschinen, Schienen, Lokomotiven, Luxusstoffen gebrauchte, kam aus dem Occident. Zwanzig Jahre später besaß es schon mehr als 85 000 industrielle Etablissements, und die Waren, welche sie lieferten, hatten ihren Wert vervierfacht.

Der alte Werkzeugapparat ist verschwunden und durch einen neuen ersetzt. Fast den gesamten Stahl, den Rußland heute verbraucht, zwei Drittel der Kohle, alle Lokomotiven, alle Waggons, alle Schienen, fast alle Dampfboote verdankt es heute schon seinem eigenen industriellen Fleiß.

Das Land, das – um mit den Oekonomisten zu reden – dazu bestimmt war, ein ackerbautreibendes zu bleiben, dieses Rußland ist ein

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Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/165&oldid=- (Version vom 21.5.2018)