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dem andern, welche durch die großen Exportländer ausgeführt werden, und Ihr werdet sehen, daß fast alle in ungenügenden Quantitäten gerade für die Einwohner desselben Landes produziert sind.

Es ist nicht ein Ueberschuß an Getreide, welchen der russische Bauer nach Europa versendet. Die besten Weizen- und Roggenernten im europäischen Rußland würden der Bevölkerung gerade nur das gewähren, dessen sie bedarf. Und im allgemeinen beraubt sich der Bauer selbst des notwendigen Getreides, indem er seinen Weizen und seinen Roggen verkauft. Er tut dies nur, um die Steuern und die Renten zahlen zu können.

Es ist nicht ein Ueberschuß an Kohle, welchen England nach allen vier Windrichtungen der Welt entsendet, da ihm selbst für seinen heimatlichen und häuslichen Bedarf pro Jahr und Einwohner nur 750 Kilo Kohle bleiben, und da Millionen von Engländern sich zur Erwärmung im Winter des Feuers berauben und es nur anfachen, um sich einiges Gemüse zu kochen. In Wirklichkeit (wir sprechen nicht von Luxusspielwaren) gibt es in dem Lande des größten Exports, in England, nun keine einzige Ware allgemeinen Gebrauchs, deren Produktion beträchtlich genug wäre, um vielleicht mehr als den Bedarf zu decken und wenn man an die Lumpen denkt, die bei einem guten Drittel der Einwohner des vereinigten Königreichs die Stelle von Wäsche und Kleidern einnehmen, so muß man sich doch fragen, ob nicht die exportierten Baumwollenstoffe gerade nur die äußersten Bedürfnisse der Bevölkerung decken würden.

Im allgemeinen exportiert man heute nicht einen Ueberschuß über den Bedarf, sollten selbst die ersten Exporte einmal diesen Ursprung gehabt haben. Die Fabel von dem Schuster, der keine Stiefel hat, ist aber auch für die heutigen Nationen ebenso wahr, wie sie ehemals für den Handwerker zutreffend war. Man exportiert das Notwendige, und dies geschieht, weil die Arbeiter mit ihrem Lohne nicht das kaufen können, was sie produziert haben, weil der Verkaufspreis einer jeden Sache enthält: die Renten, die Profite und die Zinsen der Kapitalisten und Bankiers.

Nicht allein das immer wachsende Bedürfnis nach Wohlstand bleibt unbefriedigt, sondern das äußerst Notwendige fehlt meistens. Ueberproduktion besteht also nicht, wenigstens unter diesem Gesichtspunkt; sie ist nur ein Wort, erfunden von den Theoretikern der politischen Oekonomie.

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Alle Oekonomisten sagen uns: Wenn es ein begründetes ökonomisches „Gesetz“ gibt, so ist es folgendes: „Der Mensch produziert mehr, als er konsumiert.“ Nachdem er von den Produkten seiner Arbeit gelebt hat, bleibt ihm immer noch ein Rest. Eine Bauernfamilie produziert so viel, daß mehrere Familien sich davon nähren könnten, und so fort.

Für uns entspricht diese Phrase, wenn auch noch so oft wiederholt, deswegen nicht mehr der Wahrheit. Wenn sie bedeuten soll, daß jede Generation der zukünftigen Generation etwas hinterläßt, so wäre es exakt. Ein Landmann pflanzt einen Baum, der 30 oder 40 Jahre, ja ein

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/158&oldid=- (Version vom 27.8.2018)