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der Ingenieur, der auf Grund eines einfachen Additionsfehlers in seinen Berechnungen die Kohlenschicht verliert und auf Stein bohren läßt? Oder endlich der Eigentümer, der sein ganzes Vermögen in das Bergwerk gesteckt hat und vielleicht entgegen allen Berechnungen gesagt hat: „Bohret hier, hier werdet Ihr ausgezeichnete Kohle finden.“

Alle Arbeiter, die in der Mine angestellt sind, tragen zur Kohlenförderung nach Maßgabe ihrer Kräfte, ihrer Energie, ihres Wissens, ihrer Intelligenz und ihrer Geschicklichkeit bei. Und wir können sagen, daß alle das Recht zu leben haben, ihren Bedürfnissen zu genügen, sogar ihren Luxusbedürfnissen, nachdem die Produktion des Notwendigen für Alle gesichert ist. Aber wie können wir ihre Werke abschätzen?

Und dann, – ist die Kohle denn, die sie gefördert haben, ihr Werk? Ist sie nicht auch das Werk jener Menschen, welche die Eisenlinie, die zur Mine führt und die Straßen, welche von allen ihren Stationen ausgehen, erbaut haben? Ist sie nicht auch das Werk derer, die die Felder bestellt und besäet haben, das Eisen gegraben, die Bäume im Wald gefällt, da Maschinen, in denen die Kohlen verbrannt, konstruiert haben und so fort?

Kein Unterschied kann zwischen den Werken der Einzelnen gemacht werden. Sie zu messen nach den Resultaten, führt ins Absurde. Sie zu zerlegen und zu bemessen nach den Arbeitsstunden, führt uns gleichfalls ins Absurde. Es bleibt nur eins: Die Bedürfnisse über die Leistungen zu stellen und zuerst das Recht auf das Leben anzuerkennen, alsdann darauf bedacht zu sein, für den Wohlstand aller derer zu sorgen, welche irgend einen Anteil an der Produktion nehmen.

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Nehmet jeden anderen Zweig menschlicher Tätigkeit, nehmet die Gesamtheit der Lebensmanifestationen. Wer unter uns darf für seine Werke eine höhere Belohnung verlangen? Etwa der Arzt, der die Krankheit geahnt oder der Krankenwächter, der die Heilung durch seine sorgliche Pflege gesichert hat?

Etwa der Erfinder der ersten Dampfmaschine oder jener Knabe, der, müde, die Schnur zu ziehen, die früher zum Oeffnen des Ventils, welches den Dampf unter den Kolben gelangen ließ, diente, sie eines Tages an der Kolbenstange befestigte und mit seinen Kameraden spielen ging, ohne im Entferntesten zu ahnen, daß er den wesentlichsten Mechanismus der modernen Maschine – das automatische Ventil erfunden hatte?

Ist es der Erfinder der Lokomotive oder jener Arbeiter aus Newcastle, der auf den Gedanken kam, Holzschwellen unter die Schienen zu legen statt der früheren Steine, die aus Mangel an Elastizität Zugentgleisungen hervorriefen? Ist es der Lokomotivführer oder jener Mann, der durch die Signale die Züge zum Stehen bringt, oder der Weichensteller, der ihnen die Wege öffnet?

Wem verdanken wir das transatlantische Kabel? Jenem Ingenieur, der bei seiner Behauptung, daß das Kabel Depeschen befördern würde, beharrte, während die Weisen der Elektrizität dieses als unmöglich erklärten? Dem Gelehrten Maury, der von den starken Kabeln abzusehen und sie durch eine kleine von der Stärke eines Spazierstockes zu ersetzen

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/150&oldid=- (Version vom 29.8.2018)