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Wort des Staats- und Kapitalsmonopols. Auch müssen wir bemerken, daß alle jene Theorien über die Verschiedenheit der Löhne erst später erfunden worden sind, um die Ungerechtigkeiten, die gegenwärtig bestehen, denen wir indes nicht Rechnung tragen dürfen, zu rechtfertigen.

Man wird sicherlich nicht verfehlen, uns entgegenzuhalten, daß die kollektivistische Lohnskala immerhin einen Fortschritt bedeutet. – Es wird immerhin besser sein, wenn einige Arbeiter einen 2- oder 3 mal so hohen Lohn bekommen im Verhältnis zu dem, welcher heute gang und gäbe ist, als daß der Minister für einen Tag ebensoviel als der heutige Arbeiter in einem Jahre bezieht. Das wird immerhin ein Schritt zur Gleichheit sein.

In unseren Augen wäre es ein zweifelhafter Fortschritt. In eine neue Gesellschaft die Unterscheidung zwischen „einfacher“ und „qualifizierter“[WS 1] Arbeit einführen, liefe darauf hinaus – wie wir schon einmal sagten –, durch die Revolution eine Brutalität, die wir wohl heute hinnehmen, aber nichtsdestoweniger ungerecht finden, zu sanktionieren und zum Prinzip zu erheben. Es hieße, jene Herren vom 4. August 1789 nachahmen, welche die Abschaffung der feudalen Vorrechte mit effektvollen Phrasen proklamierten, aber diese zu gleicher Zeit sanktionierten, indem sie die Bauern zur Ablösung dieser Vorrechte zwangen und die Feudalherren dadurch unter den Schutz der Revolution stellten. Es hieße auch die russische Regierung nachahmen, die bei der Aufhebung der Leibeigenschaft erklärte, daß der Grund und Boden künftighin den Adligen gehöre, obgleich früher es nur ein unerhörter Mißbrauch war, wenn der Herr über das den Leibeigenen gehörige Land verfügte.

Oder um noch ein bekanntes Beispiel zu wählen: Als die Kommune von 1871 beschloß, den Mitgliedern des Kommunalrates fünfzehn Francs täglich zu zahlen, während die auf den Befestigungen kämpfenden Föderierten nur 30 Sous (M. 1,20) beziehen sollten, wurde dieser Beschluß schon als ein Akt hoher egalitärer Demokratie mit allgemeinem Beifall begrüßt. In Wirklichkeit bestätigte die Kommune damit nur die alte Ungleichheit zwischen dem Beamten und dem Soldaten, zwischen der Regierung und dem Regierten. Von Seiten einer opportunistischen Kammer hätte ein derartiger Beschluß wunderbar erscheinen können; die Kommune versündigte sich damit an ihrem revolutionären Prinzip, verdammte es geradezu dadurch.

Wenn wir in der gegenwärtigen Gesellschaft einen Minister ein Jahresgehalt von 100 000 Francs empfangen sehen, während der Arbeiter sich mit tausend oder noch weniger begnügen muß; wenn wir die Zwischenmeister zweimal so hoch als den Arbeiter bezahlt sehen und bemerken, daß auch zwischen den Arbeitern die verschiedensten Lohnsätze von zehn Francs täglich bis zu den 6 Sous (M. 0,24) der Bäuerin bestehen, so mißbilligen wir das hohe Gehalt des Ministers, ebenso aber auch die Differenz zwischen den 10 Francs des Arbeiters und den 6 Sous des armen Weibes. Und wir sagen: „Nieder mit den Privilegien der Erziehung wie mit denjenigen der Geburt!“ Wir sind Anarchisten, gerade weil wir diese Privilegien hassen.

Sie sind uns schon in der heutigen autoritären Gesellschaft häßlich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: qualifizerter
Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/147&oldid=- (Version vom 21.5.2018)