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seine Tagesarbeit doppelt so hoch entschädigen lassen will als der Krankenwärter – dann tritt der Staat in Funktion und regelt die Differenzen. Das ist in wenigen Worten die Organisation, welche die Kollektivisten aus der sozialen Revolution hervorgehen lassen wollen. Wie man sieht, sind ihre Prinzipien folgende: Kollektiveigentum an den Arbeitsinstrumenten, und Entschädigung des Einzelnen je nach der bei der Produktion aufgewendeten Zeit, unter Berücksichtigung der Produktivität seiner Arbeit. Bezüglich des politischen Regimes würde es der Parlamentarismus sein, gemildert durch das Zwangsmandat und durch das „Referendum“, d. h. das Plebiszit mittels „ja“ oder „nein“.

Bemerken wir erstlich, daß dieses System uns absolut undurchführbar erscheint.

Die Kollektivisten proklamieren zuerst ein revolutionäres Prinzip – die Abschaffung des Privateigentums – und verneinen es nachher wieder durch die Aufrechterhaltung einer Organisation innerhalb der Produktion und Konsumtion, die ihren Ursprung im Privateigentum hat.

Sie proklamieren ein revolutionäres Prinzip und ignorieren die Konsequenzen, die dieses Prinzip unvermeidlich nach sich ziehen muß. Sie vergessen, daß die bloße Tat der Abschaffung des Privateigentums an den Arbeitsinstrumenten (dem Grund und Boden, den Fabriken, den Verkehrsmitteln, den Kapitalien) die Gesellschaft auf absolut neue Bahnen leiten, die gesamte Produktion von Grund auf umwälzen muß – ebensowohl in ihren Zielen wie in dem Mittel; daß es die Aenderung der gesamten täglichen Beziehungen zwischen den Individuen heißt, sobald der Grund und Boden, die Maschine und alle übrigen Arbeitsinstrumente als Gemeinbesitz betrachtet werden.

„Kein Privateigentum“, sagen sie – und sogleich beeilen sie sich wieder, das Privateigentum in seinen täglichen Manifestationen aufrechtzuerhalten. Ihr werdet, erwidern wir, eine Kommune sein, was die Produktion anbelangt; die Felder, die Werkzeuge, die Maschinen – alles was bis zum heutigen Tage geschaffen worden ist, die Manufakturen, die Eisenbahnen, die Brücken, die Bergwerke usw., alles wird Euch gehören.

Aber morgen werdet Ihr Euch kleinlich den Anteil streitig machen, den Ihr an der Erschaffung neuer Maschinen, an der Erschließung neuer Bergwerke haben werdet. Ihr werdet genau den Teil abzuwägen suchen, welcher Jedem in der neuen Gesellschaft zufällt. Ihr werdet Eure Arbeitsminuten zählen und werdet darüber wachen, daß Euer Nachbar mit seiner Arbeitsminute nicht mehr kaufen kann als Ihr mit der Eurigen.

Und da die Stunde keinen Maßstab angibt, da in der einen Manufaktur ein Arbeiter 6 Webstühle zugleich bedienen kann, während er in der andern Fabrik nur deren zwei überwachen kann, so werdet ihr die Muskelkraft, die Gehirn- und Nervenenergie, die Ihr verbraucht habt, zu bestimmen versuchen. Ihr werdet genau die Lehrjahre usw. in Anschlag bringen, um den Anteil eines Jeden an dem zukünftigen Produkt nur ja genau bestimmen zu können. Und alles dieses, nachdem Ihr erklärt habt, daß Ihr nicht den Anteil in Rechnung stellet, welchen in der Produktion die Vergangenheit genommen hat.

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Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/144&oldid=- (Version vom 21.5.2018)