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der nicht die Idee fassen will, daß er sein ganzes Leben an den Werktisch geschmiedet sein soll und arbeiten muß, um seinem Arbeitgeber tausenderlei Genüsse zu verschaffen, – während er sich klüger als jener weiß und kein anderes Unrecht begangen hat, als in einer Hütte anstatt in einem Palaste geboren zu sein.

Endlich kennt eine gute Zahl der „Faulen“ nicht das Handwerk, durch welches sie gezwungen sind, ihr Leben zu verdienen. Indem sie in dem Gegenstand, der der Arbeit ihrer Hände entstammt, etwas Unvollkommenes sehen und sich vergebens bemühen, ihn besser herzustellen, und bemerken, daß ihnen dies niemals glücken wird wegen der schlechten Arbeitsmethoden, die sie sich einmal angewöhnt haben, werden sie von Haß gegen ihr Handwerk, und da sie kein anderes kennen, gegen die Arbeit überhaupt erfüllt. Tausende von Arbeitern oder verfehlten Künstlern rechnen unter diese Kategorie.

Ganz anders verhält es sich mit dem, welcher in seiner Jugend gut Klavier spielen, gut den Hobel, die Schere, den Pinsel oder die Feile zu handhaben lernte und dadurch das Bewußtsein hat, daß er etwas Schönes vollbringt, dieser wird niemals vom Piano, von der Schere oder der Feile lassen. Er wird ein Vergnügen in seiner Arbeit finden, die ihn nicht ermüden wird, solange sie nicht zu jener Ueberarbeit wird.

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Unter der einen Bezeichnung Faulheit gruppiert man also eine ganze Reihe von Resultaten, die den verschiedenen Ursachen geschuldet werden, und von denen jede vielleicht eine Quelle des Nutzens für die Gesellschaft sein könnte, anstatt, wie heute, ein Uebel. Unter diesem Begriff hat man, wie bei der Kriminalität, wie in allen Gebieten, welche die Fähigkeiten des Menschen betreffen, Tatsachen zusammen gebracht, die gewöhnlich nichts mit einander gemein haben. Man spricht von Faulheit oder Verbrechen, ohne sich auch nur Mühe zu geben, ihre Ursachen zu analysieren. Man beeilt sich, jene zu bestrafen, ohne sich zu fragen, ob die Strafe nicht selbst eine Förderung der „Faulheit“ oder des „Verbrechens“ sein konnte.

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Das ist der Grund, weshalb eine freie Gesellschaft, wenn sie die Zahl der Müßiggänger in ihrem Schoße wachsen sieht, ohne Zweifel darauf denken wird, nach den Ursachen ihrer Faulheit zu forschen, und sie wird versuchen, sie zu beseitigen anstatt zu Züchtigungsmitteln zu greifen. Wenn es sich, wie wir schon oben sagten, um einen einfachen Fall von Blutarmut handelt, so wird man sich sagen: „Bevor Ihr das Gehirn des Kindes mit Wissenschaft vollpfropft, verschafft ihm erst Blut; kräftigt es, und damit es seine Zeit nicht verliere, führet es auf das Land oder an den Strand des Meeres. Dort in frischer Luft, nicht über Büchern lehret ihm die Geometrie – indem Ihr beispielsweise mit ihm die Distanzen bis zu den nächsten Felsen abmesset; – es wird dort die Naturwissenschaften lernen, indem es Blumen sammelt oder auf dem Meere fischt, die Physik, indem es sich das Boot erbaut, in welchem es

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/139&oldid=- (Version vom 17.8.2017)