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Und wenn Ihr mit dem Arbeiter selbst sprecht, so werdet Ihr erfahren, daß es allgemeiner Brauch in den Werkstätten ist, nicht das zu leisten, was man zu leisten imstande ist. Wehe demjenigen, der in einer englischen Fabrik nicht diesem Rate, den er von seinen Kameraden beim Eintritt in sie empfängt, Folge leistet!

Die Arbeiter wissen eben, daß, wenn sie in einem Augenblick von Großmut dem Drängen des Arbeitsherrn nachgeben und einmal intensiver arbeiten, um vielleicht dringende Aufträge fertigzustellen, diese nervöse Arbeit in Zukunft als Regel gefordert und als Durchschnittsarbeit in der Lohnskala behandelt werden wird. In neun Fabriken auf zehn zieht man es heute vor, nicht nach seiner Leistungsfähigkeit zu produzieren. In gewissen Industrien setzt man auch die Produktion herab, um hohe Preise zu erhalten, und bisweilen bedient man sich auch der Parole „Ca-canny“[WS 1] (Sabot[WS 2]), welches bedeutet: „Für eine schlechte Bezahlung eine schlechte Arbeit“.

Dem Lohnarbeiter geht es wie dem Leibeignen: er kann und darf nicht das leisten, was er leisten könnte. Und es wäre endlich an der Zeit, dieser Legende, daß der Lohn das beste Mittel für eine produktive Arbeit ist, ein Ende zu machen. Wenn die Industrie gegenwärtig hundertmal mehr leistet, als zu Zeiten unserer Großväter, so verdanken wir das dem Aufschwung der Chemie und Physik, nicht indes der kapitalistischen Organisation der Lohnarbeit; man ist zu diesen Erfolgen gelangt, trotz jener Organisation.

III.

Diejenigen, welche ernsthaft die Frage studiert haben, leugnen auch keinen der Vorteile des Kommunismus – unter der Bedingung wohlverstanden, daß dieser ein vollkommen freier, ein anarchistischer Kommunismus ist. Sie erkennen an, daß die Arbeit, solange sie mit Geld, selbst unter der versteckten Form von „Bons“ entlohnt wird, und wenn sie selbst in Arbeiterassoziationen, die unter der Leitung des Staates stehen, geleistet wird, doch stets den Stempel des Lohnsystems und seine Nachteile bewahren wird. Sie verstehen, daß das ganze System darunter leiden müßte, selbst wenn die Gesellschaft auch wieder in den Besitz der Produktionsmittel treten sollte. Und sie meinen, daß dank der guten Erziehung, die allen Kindern zuteil werden würde, dank der arbeitsamen Tugenden einer zivilisierten Gesellschaft, bei der Freiheit, seine Beschäftigungen zu wählen und zu wechseln, und bei dem Reiz, den die Arbeit erhält, wenn sie in Gemeinschaft mit Gleichgestellten und für das Wohl Aller verrichtet wird, eine kommunistische Gesellschaft keineswegs produzierender Menschen ermangeln würde, welche die Fruchtbarkeit des Bodens bald verdrei- und verzehnfachen und der Industrie einen gewaltigen Aufschwung sichern würden.

Nachdem unsere Gegner dieses vielfach eingeräumt haben, sagen sie jedoch: „Aber die Gefahr wird von jener Minorität der Faulen kommen, die nicht arbeiten wollen, trotz der ausgezeichneten Bedingungen, welche die Arbeit so angenehm machen; Unregelmäßigkeit und Unbeständigkeit werden die Folge sein. Heute zwingt die Perspektive

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Ca’ canny ist Schottisch für „langsam und vorsichtig vorgehen“ und bezeichnet in der englischen Sprache die Form der Sabotage, bei der absichtlich langsamer gearbeitet wird.
  2. Vom französischen sabot, „Holzschuh“ leitet sich das Wort Sabotage ab.
Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/133&oldid=- (Version vom 26.9.2017)