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Welches Interesse könnte diese abstumpfende Arbeit für den Arbeiter haben? Er weiß, was seiner wartet von der Wiege bis zum Grabe: in Mittelmäßigkeit, Armut und Unsicherheit zu leben. Wenn man jene ungeheure Menge von Menschen jeden Morgen ihre traurige Tätigkeit wieder aufnehmen sieht, so kann man nur staunen, wie beharrlich, wie zugeneigt und gewohnt sie der Arbeit sind. Sonst wäre es unmöglich, daß sie, gleich einer Maschine, welche nach einmal gegebenem Anstoß mechanisch weiterläuft, dieses Leben voller Elend führen könnten, ein Leben ohne Hoffnung für den nächsten Tag, ohne daß das Morgenrot sich eines Tages ankündigte, an welchem sie oder wenigstens ihre Kinder endlich einmal Mitglieder der Menschheit werden – der Menschheit, die so reich sein könnte durch all die Schätze der freien Natur, so glücklich durch all jene Freuden, welche das Wissen, die wissenschaftliche und künstlerische Schöpfung in sich birgt, durch Genüsse, welche heute nur den Bevorrechteten zugänglich sind.

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Gerade um dieser Trennung zwischen Hand- und Kopfarbeitern ein Ziel zu setzen, wollen wir das Lohnsystem abschaffen, wollen wir die soziale Revolution. Dann wird die Arbeit nicht mehr als ein fluchwürdiges Los betrachtet werden: sie wird werden, was sie sein sollte: die freie Betätigung der menschlichen Fähigkeiten.

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Es wird übrigens endlich einmal Zeit, die Legende, daß man unter der Fuchtel des Lohnsystems die best- und größtmöglichste Arbeitsleistung erreiche, einer ernsthaften Analyse zu unterziehen.

Man besuche nur einmal, nicht eine jener Mustermanufakturen oder -Fabriken, welche sich hier und da ausnahmsweise finden, sondern eine rechte Durchschnittsfabrik und man wird sich jener ungeheuren Verschwendung menschlicher Arbeitskraft, welche die gegenwärtige Industrie charakterisiert, bewußt werden. Auf eine mehr oder weniger rationell organisierte Fabrik gibt es hundert oder mehr, welche die Arbeit des Menschen, diese kostbare Kraft, verschleudern, und zwar ohne ein ernsteres Motiv als dem Besitzer vielleicht täglich zwei Sous mehr einzutragen.

Hier sehet Ihr junge Männer von 20–25 Jahren mit eingebogener Brust, unter fieberhaft zittrigen Bewegungen von Kopf und Leib den ganzen Tag auf einer Bank sitzen, um mit der Geschwindigkeit eines Taschenspielers die Enden von Baumwollfäden zusammenzuknüpfen, die man aus der Spitzenwerkstatt zurückgeschickt hat. Welche Generation werden diese zitternden und schwindsüchtigen Körper der Erde hinterlassen? Doch … „sie nehmen wenig Raum in der Fabrik fort und sie bringen mir täglich pro Kopf 50 Centimes ein“, wird der Arbeitgeber sagen.

Doch sehet Ihr in einem ungeheuren Etablissement Londons Mädchen, die mit 17 Jahren ihr Kopfhaar verloren haben, weil sie aus dem einen Saal in den anderen Tabletts mit Streichhölzern auf dem Kopfe

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/131&oldid=- (Version vom 17.8.2017)