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können. Man muß sich in das Leben des Volkes versenkt haben, ehe man es darzustellen wagt.

Die Werke dieser Künstler der Zukunft, welche mit dem Volke gelebt haben, werden wie jene der großen Künstler der Vergangenheit nicht für den Verkauf bestimmt sein. Sie werden ein integrierender Teil des Gesamtlebens sein, welches nicht ohne sie wird sein können, wie Erstere nicht ohne das Letztere werden sein können. Dann wird man auch herbeieilen und sie betrachten, und ihre stolze und reine Schönheit wird einen wohltuenden Einfluß auf die Herzen und Geister ausüben.

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Die Kunst muß, um sich entwickeln zu können, durch Tausende Bande mit der Industrie verknüpft sein, derart, daß beide förmlich ineinander aufgehen, wie es uns Ruskin und der sozialistische Poet Morris so treffend und so häufig gezeigt haben: Alles, was den Menschen umgibt, in seinem Heim, auf der Straße, im Innern wie im Aeußern der öffentlichen Gebäude, muß von rein künstlerischer Gestalt sein.

Aber dieses läßt sich nur in einer Gesellschaft verwirklichen, wo Alle den Wohlstand, die Freuden und die Muße genießen können. Dann wird man Kunstvereinigungen sich bilden sehen, in denen ein Jeder die Beweise seiner Fähigkeiten wird liefern können; denn die Kunst wird nicht einer unendlichen Menge von Hülfsarbeiten rein technischer wie physischer Natur entbehren können. Und diese Kunstvereinigungen werden die öffentlichen Gebäude wie die Häuser ihrer Mitglieder schmücken in gleicher Weise, wie es jene hochherzigen Freiwilligen von Edinburg taten, welche die Wände und die Plafonds des großen Armenhauses dieser Stadt zierten.

Und wenn ein Maler oder Bildhauer ein Werk rein persönlicher Empfindung, ganz intimer Art geschaffen hat, so wird er es der geliebten Frau oder einem Freunde schenken. Der Liebe entsprossen, sollte dieses Werk hinter jenen zurückstehen, welche heute die Prunksucht des Bourgeois und Bankiers befriedigen, weil sie viel Geld gekostet haben?

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Das Gleiche gilt für alle Genüsse, denen man sich nach Befriedigung des Notwendigen hinzugeben wünscht. Derjenige, der einen Flügel wünscht, wird in eine Assoziation von Instrumentenmachern eintreten. Und wenn er ihr einen Teil seiner Mußestunden widmet, so wird er bald im Besitz seines ersehnten Flügels sein. Wenn er für astronomische Studien begeistert ist, so wird er sich einer Vereinigung von Astronomen, die Philosophen, Beobachter, Mathematiker, Gelehrte wie Laien in ihrer Mitte bergen wird, anschließen und er wird das Teleskop, welches er begehrt, bekommen, nachdem er seinem Anteile entsprechend an dem gemeinschaftlichen Werke mitgearbeitet hat, denn ein astronomisches Observatorium erfordert auch eine Menge grober Arbeit: Arbeiten des Maurers, des Tischlers, des Gießers, des Mechanikers – die

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Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/104&oldid=- (Version vom 3.6.2018)