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zu bereichern, und zwar auf Kosten der großen Masse; das Vaterland existiert nicht . . . . . Welches Vaterland könnte auch der internationale Bankier und der Lumpensammler gemeinsam haben?

Nur, wenn die Stadt, das Territorium, die Nation und die Gruppe von Nationen ihre Einheit im sozialen Leben wieder erlangt hat, wird die Kunst ihre Inspiration in der Allgemeinidee der Stadt oder der Föderation schöpfen können. Dann wird der Architekt das Monument einer Stadt konzipieren können, das keine Kirche, kein Gefängnis, keine Festung mehr sein wird; dann wird der Maler, der Bildhauer, der Ziseleur, der Ornamenteur wissen, wo sie ihr Gemälde, ihre Statuen, ihre Ornamente aufstellen – sie, die alle die Kraft zum Schaffen aus derselben Lebensquelle schöpfen und alle vereint und ruhmreich der Zukunft entgegeneilen.

Aber bis dahin kann die Kunst bestenfalls nur vegetieren.

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Die besten Gemälde der modernen Maler sind noch diejenigen, welche die Natur, das Dorf, das Tal, das Meer mit seinen Gefahren, das Gebirge in seiner Pracht wiedergeben. Aber wie sollte der Maler die Poesie der Feldarbeit wiedergeben können, wenn er sie nur im Geiste gesehen, sie sich nur vorgestellt hat, wenn er sie niemals selbst gekostet hat? Wenn er sie nur so flüchtig kennt, wie ein Strichvogel jene Länder, über welche er bei seinen Wanderungen fortzog? Wenn er nicht in der ganzen Frische seiner frohen Jugend mit der Morgenröte dem Pfluge gefolgt ist, wenn er nicht den Genuß gekostet hat, in breiten Schwaden an der Seite starker Heuer die Wiese zu mähen – wetteifernd mit den lachenden Mädchen, die die Wiese mit ihren Gesängen erfüllen? Die Liebe zum Lande und zu dem, was auf dem Lande wächst, erwirbt man nicht, indem man die Studien mit dem Pinsel macht. Man erwirbt sie nur in seinem Dienste, und wie sollte man es, ohne es zu lieben, malen können? Darum ist auch alles das, was die besten Maler auf diesem Gebiet haben leisten können, noch so unvollkommen, noch so häufig falsch: fast stets die Frucht der Sentimentalität; Kraft liegt nicht darin.

Man muß, von tüchtiger Feldarbeit heimkehrend, den Sonnenuntergang gesehen haben, man muß Bauer mit den Bauern gewesen sein, um den Glanz der Sonne im Auge bewahren zu können.

Man muß mit dem Fischer auf dem Meere gewesen sein, zu jeder Stunde des Tages und der Nacht; man muß selbst gefischt, gekämpft haben mit den Wogen, dem Sturm getrotzt und nach harter Arbeit die Freude empfunden haben, das gefüllte Netz zu heben; oder die Enttäuschung, es leer zu finden, wenn man die Poesie des Fischfanges begreifen will. Man muß im Hüttenwerk gewesen sein, muß kennen gelernt haben die Ermüdungen, die Leiden und auch die Freuden der schaffenden Arbeit, das Metall im hellen Lichte des Hochofens geschmiedet, das Leben der Maschine gefühlt haben, um zu wissen, was die Kraft des Menschen ist, und um sie in ein Kunstwerk übertragen zu

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/103&oldid=- (Version vom 21.5.2018)