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und man kennt dessen Resultate. Der ausgehungerte Erfinder verkauft es für einige Mark und der, der ein wenig Kapital daranwagt, säckelt die enormen Erträgnisse des Patents ein. Außerdem isoliert das Diplom den Erfinder. Er ist gezwungen, seine Forschungen geheim zu halten, was häufig ihrer Spät- oder Fehlgeburt gleichkommt. – Die einfachste Verbesserung, die einem weniger von der Fundamentalidee absorbierten Gehirn entstammt, genügt bisweilen, um die Erfindung zu befruchten oder sie überhaupt erst nutzbar zu machen. Wie jede Autorität, hemmt das Patent nur den Fortschritt der Industrie.

Theoretisch eine schreiende Ungerechtigkeit – der Gedanke kann nicht patentiert werden – ist das Patent in praktischer Beziehung eines der großen Hindernisse in der raschen Entwickelung der Erfindung.

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Eine Vorbedingung für die Befruchtung des Erfindungsgeistes ist vor allem ein Erwachen des geistigen Lebens, es ist der Mut, zu denken, der unter unserer gegenwärtigen Erziehung erschlaffen muß; es ist ein weitverbreitetes Wissen, welches die Zahl der Forscher verhundertfacht; es ist endlich das Bewußtsein, daß die Menschheit mit jeder Erfindung einen Schritt vorwärts tut; denn es ist sehr häufig der Enthusiasmus oder die Illusion des Guten, welche die großen Wohltaten inspiriert hat.

Die soziale Revolution allein kann den Anstoß zu diesem Aufschwung des Gedankenlebens, dieser Kühnheit, diesem Wissen, dieser Ueberzeugung, daß man für Alle arbeitet, geben.

Alsdann wird man große Fabriken erblicken, ausgerüstet mit motorischer Kraft und Instrumenten aller Art, ausgedehnte industrielle Laboratorien, geöffnet für alle Forscher. Dorthin wird man gehen, um seinem Verlangen entsprechend zu arbeiten – nachdem man seine Pflichten gegen die Gesellschaft getan hat; dort wird man eine 5- bis 6 stündige Muße verbringen, dort wird man Erfahrungen sammeln, dort andere Gefährte finden, die in anderen Zweigen der Industrie erfahren sind und gleichfalls dorthin kommen, um irgendein schwieriges Problem zu lösen; man wird sich gegenseitig helfen, sich gegenseitig aufklären und endlich wird aus dem Zusammentreffen der Ideen und ihrer Experimentierung die gewünschte Lösung entspringen. Und noch einmal sei es gesagt, dies ist kein Traum. In dem S. G.-Museum zu Petersburg hat man es schon verwirklicht. Solanoi Gorodok hat es in Petersburg auf dem Gebiete der Technik (teilweise wenigstens) verwirklicht. Es ist eine schön ausgerüstete Werkstatt, die Jedem offen steht. Man kann daselbst unentgeltlich die Instrumente und die motorische Kraft benutzen; das Holz allein und die Metalle werden zum Einkaufspreis berechnet. Doch die Arbeiter begeben sich erst des Abends, erschöpft nach zehnstündiger Arbeit in ihrer Werkstatt, dorthin. Und sie verbergen sorgsam ihre Erfindungen den Blicken Aller, dazu genötigt durch das Patent und den Kapitalismus, diesen Fluch der gegenwärtigen Gesellschaft, den Stein, der den Weg zum intellektuellen und moralischen Fortschritt versperrt.

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/101&oldid=- (Version vom 27.8.2018)