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Erkenntnisse drängt mit Macht darauf hin, daß wir Katholiken im Interesse der kirchlichen Seelsorge die mystischen Phänomene im Leben unserer religiösen Heroen einer neuen, vertieften und allseitigen Prüfung unterziehen. Zahn schließt den Abschnitt über die sogenannte „dämonische Mystik“ mit den Worten: „Wer nicht gleichgültig ist gegenüber dem wahren Wohl der Gläubigen und der Ehre der Kirche, wird jedenfalls dringend wünschen, daß die kritiklose Weitergabe aller möglichen Spukgeschichten der Vergangenheit angehöre.“[1] Aus den gleichen Erwägungen heraus wäre auch die kritische Umarbeitung gewisser Abschnitte des weitverbreiteten mystischen Handbuchs von Poulain sehr erwünscht.

     Es ist eine der kirchlichen Frömmigkeit abträgliche Erscheinung, daß, abgesehen von rühmlichen Ausnahmen, die „Heiligenleben“ in Deutschland ohne historische Kritik ein Milieu repristinieren, daß dem heutigen Menschen längst fremd geworden ist und welches Auffassungen in sich birgt, über die selbst der einfache Mann unserer Tage hinausgewachsen ist. Die Folge davon ist, daß die Frömmigkeit und die Eigenart der Heiligen unverstanden bleibt und absonderlich wirkt, sodaß die Begriffe „sonderbar“ und „heilig“ im Sprachschatz bereits einen engen Bund eingegangen sind. Damit wird das Ziel kirchlicher Frömmigkeit, das Ideal katholischer Heiligkeit immer größeren Mißdeutungen ausgesetzt und für einen großen Teil der Gläubigen unwirksam. Und doch ist eine Renaissance wahrer sittlicher Größe so notwendig. Die Heiligen müssen auferstehen in ihrer genialen religiösen Kraft und in ihrem Heroismus an Glauben, Demut, Hingabe und Liebe, zu neuen Apologeten der kirchlichen Form christlichen Lebens werden. Ihre seelische Grundstimmung und ihr Lebensziel, ihre hochgemuten, oft die Grenzen körperlicher Kraft nicht achtenden Anstrengungen und die Reaktion des leiblichen Organismus wider dieselben und schließlich nach einer schweren Sturmperiode das besonnene, geduldige Wirken und Leben nach dem Geiste, oft bei schwerstem körperlichem Elend, kurz die Höhenlage ihrer Gesinnung und Willenskraft über den Regionen des kleinlich irdischen Denkens und jenseits des Machtbereichs tyrannischer Nerven – das ist der Gegenstand der Hagiographie. Drum möge man nicht vor dem Gedanken bangen, daß auch die Pathologie den Heiligen ihre Aufmerksamkeit widmen muß. Der Heilige, in dessen Bild die Passionsblumen schwerer seelisch-körperlicher Leiden eingewoben sind, die seine stürmische Aszese und vielleicht irrtümliche dämonologische Befürchtungen herbeigeführt haben, steht dem Menschen immer viel näher als ein Heiligenleben, das nach der kritiklosen Darstellung des Biographen mit unverständlichem Dämonenspuk drapiert erscheint. Was wir im Leben eines hl. Antonius und so vieler Heiligen sehen, ist mit geistiger Gesundheit durchaus vereinbar. Auch ein Göthe und Napoleon haben ihre Sinnestäuschungen gehabt. Allerdings besteht für manche Neurastheniker die Gefahr, daß Zwangsgedanken, die sie anfangs noch als unbegründet abweisen, allmählich zu Wahnideen übergehen, deren


  1. Jos. Zahn, Einführung in die christliche Mystik, Paderborn 1908, S. 444. – Das Ergebnis unserer Untersuchung weckt auch den dringenden Wunsch, es möchten die Kriterien für „die Unterscheidung der Geister“, in deren Geschichte die vita Antonii einen Markstein bildet, und welche für die Leitung kontemplativer Orden und frommer Gläubigen noch heute große Bedeutung haben, einer neuen Prüfung unterzogen werden, bei welcher die vertieften Erkenntnisse über die Gesetze des psychischen Lebens besondere Beachtung fänden.
Empfohlene Zitierweise:
Joseph Stoffels: Die Angriffe der Dämonen auf den Einsiedler Antonius. Ferdiand Schöningh, Paderborn 1910, Seite 829. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Angriffe_der_D%C3%A4monen_auf_den_Einsiedler_Antonius_829.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)