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nicht zeigen, weil sie keinen Körper haben... Die zweite Art ist auch noch objektiv. Ein Körper erscheint wirklich, aber es ist ein angenommener Körper. Dann nimmt man meist an, daß er mit Hilfe der Engel gebildet sei. Gott bedient sich ja gerne der geschaffenen Kräfte, soweit sie ausreichen. Die dritte Art kann man halb objektiv nennen. Der wahre Körper erscheint nicht mehr, aber es erscheint doch wenigstens noch etwas Materielles, von dem die Lichtstrahlen ausgehen und einen Körper erscheinen lassen. Engel bringen nämlich diese Lichtwellen hervor, wie sie es auch bei den Schallwellen für das Gehör tun würden, und lassen sie von dem Orte ausgehen, wo der Gegenstand erscheint... Die vierte Art ist ganz subjektiv. Die Engel bringen unmittelbar auf der Netzhaut das Bild des Gegenstandes hervor“ (Poulain II. 24 f.). In einer Anmerkung wird eigens beigefügt, daß der hl. Thomas an die dritte Erklärungsart wegen der Lichttheorie damaliger Zeit nicht denken konnte. Wollten wir versuchen, die Auffassung des Antonius in die Kategorien Poulains einzugliedern, so würde uns zum Bewußtsein kommen, daß diese vier Klassen noch nicht ausreichen. Nur mit der Einschränkung, daß Antonius die Phänomene in seiner subjektiven Phantasie entstehen läßt, könnte man die irrtümliche Auffassung der vita Antonii der zweiten Gruppe einverleiben. Das Axiom indes, mit welchem Poulain die zweite Erklärungsart motiviert: „Gott bedient sich ja gerne der geschaffenen Kräfte, soweit sie ausreichen,“ eignen wir uns gerne an, mit dem sachlichen Unterschiede jedoch, daß unserer Untersuchung gemäß geschaffene Kräfte physiologisch psychologischer Art zur Erklärung der „Dämonenkämpfe“ unsers Einsiedlers völlig ausreichen.

     Beim Abschluß dieses Teiles unserer Untersuchung empfiehlt es sich, einen Augenblick zu unserer Orientierung Halt zu machen. Nachdem wir die Phobien und Zwangsgedanken im Innenleben des Aszeten herausgestellt hatten, waren wir vor die Wahl gestellt, den objektiven dämonologischen Befund mit Antonius und dem Volksglauben des Altertums auf eine unnatürlich komplizierte Weise zu erklären oder uns für die neuen Erkenntnisse der physiologischen Psychologie zu entscheiden. Die naturwissenschaftliche Betrachtung des Problems, die historische Analyse der alten Volksvorstellung, wie auch die theologischen Gesichtspunkte drängten uns immer schärfer zu einer Ablehnung des Erklärungsversuchs, den der Einsiedler unternommen hatte. Jetzt bleibt uns nur noch die Aufgabe, auf dem Boden der neuzeitlichen psychiatrischen Wissenschaft die einzelnen Formen des objektiven Befundes zu klassifizieren. Wenn sich dabei herausstellt, daß wir es mit typischen Symptomen von „Sinnestäuschungen“ zu tun haben, so ist damit zugleich die Probe auf die Richtigkeit der vorangehenden Untersuchung gemacht.

     Der Halluzination sind zwei Momente eigen: die Überzeugung von der Objektivität der Erscheinung und die Lokalisation der Erscheinung in den Raum mitten zwischen die umgebenden Gegenstände.[1] Im Gegensatz zu den eigentlichen visionären Ekstasen des Einsiedlers (c. 60, 65, 66) lokalisiert er die uns beschäftigenden Phänomene auf ein begrenztes Gebiet, gewöhnlich zwischen die Wände seiner Verschanzung. Hinsichtlich des Inhalts der Halluzination betont Krafft–Ebing, daß derselbe vielfach dem jeweiligen Inhalte des Vorstellens konform sei. „Es stellt plastisch gewordene visuelle, laut gewordene


  1. Vgl. Beßmer, Störungen S. 30.
Empfohlene Zitierweise:
Joseph Stoffels: Die Angriffe der Dämonen auf den Einsiedler Antonius. Ferdiand Schöningh, Paderborn 1910, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Angriffe_der_D%C3%A4monen_auf_den_Einsiedler_Antonius_822.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)