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viel wirksamer an den Pranger gestellt, als es durch eine ernste Abhandlung hätte geschehen können. Am besten zeigt uns Marpurg sein Talent zur Satire in dem im 29. bis 31. Stück befindlichen Brief des C. D. E. F. G. A. H. C, zweiten Hofmusikus in Jericho. Im 13. bis 25. Stück hatte Marpurg eine Übersetzung des „Essai sur le bon goût en musique“ von Grandvall (Paris 1732) gebracht und damit zugleich angezeigt, dass er für die Begründung einer musikalischen Ästhetik thätig sein wolle. Ausser Scheibes Abhandlung über den Geschmack in der Musik (als Zugabe der 2. Aufl. des Crit. mus. erschienen) gab es noch keine derartige Abhandlung in deutscher Sprache. Wie neu und unverständlich daher den meisten Musikern diese Art der Kunstphilosophie war, zeigt der oben erwähnte Brief aufs frappanteste. Marpurgs Briefschreiber ist ein Musikus, der sich etwas darauf einbildet, mehr Urteil und Erfahrung als seine Kollegen zu haben. Vermöge seiner grösseren Einsicht will er auch die Übersetzung der ästhetischen Abhandlung gleich als einen satirischen Scherz erkannt haben. Dass man es empfinden müsse, ob ein Musikstück gut oder schlecht sei, will unserem braven Hofmusikus gar nicht in den Sinn. Ein Stück halte man doch gemeiniglich für gut, wenn es dem Ohre gefällig und brav schwer sei. Das Wort „Empfinden“ gehöre überhaupt nicht in die Musik, sondern in die Sprache der Doktoren und Barbiere. Auch das Wort „Geschmack“ habe er seinen Kollegen erst als „Gusto“ erklären müssen, da sie gedacht hätten, es sei vom Essen und Trinken die Rede.

Wenn in der Grandvall’schen Abhandlung empfohlen war, sich über alles Gehörte ein Urteil zu bilden und manche Stücke zum besseren Verständnis mehr als nur einmal durchzuspielen, so findet unser Briefschreiber das ganz wider die Gewohnheit. Wertvoll und schön seien überhaupt nur die technisch schwierigen Stücke, und ob ein Stück schwer sei, das merke man gleich beim einmaligen Durchspielen. Wozu man denn ferner, wie Grandvall meinte, Sangbares und zu Herzen Gehendes spielen sollte? Nur schwierige Stücke brächten dem Musiker Ehre, ganz abgesehen davon, dass die Musik fürs Ohr und nicht fürs Herz sei.