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Knax, der Weise, erklärte daher:

„Lebensgenossen auf den Ballonhäuten der Venushaut! Macht schnell neue Ballonhäute und macht kleine Löcher in die alten, allzu straff gespannten Ballonhäute – dann wird der Hauptballon an vielen Stellen kleine Nebenballons bekommen und das Terrain, auf dem wir herumlaufen wollen, wird dadurch wieder uneben und reicher gegliedert erscheinen.“

Dies mußte Knax mehrfach auseinandersetzen – doch die Lebensgenossen verstanden ihn dann allmählich und machten wie er gesagt hatte.

Und da wurde denn die Freude auf allen Ballons noch viel größer und Knax wurde gefeiert wie ein Retter und Erlöser.

Und die Schildkröten, die jetzt unten schrecklich ruhig lebten, freuten sich auch.

Leider wehrte die Freude der Schildkröten nicht sehr lange, denn sie bemerkten bald, daß ihnen die riesigen Kraterballons, die durch all die neuen Auswuchsballons täglich größer wurden, die Aussicht in die große Sonne benahmen, so daß die Schildkröten überall im Schatten liegen mußten.

Man rief nach dem weisen Knax und setzte ihm die Unerträglichkeit der Schattenfülle auseinander.

„Wir sind,“ sagten die Kröten, „an die Schattenfülle nicht gewöhnt; wir sind doch so konstruiert, daß wir Licht und Sonne zum philosophischen Nachdenken alle Tage brauchen. Mit der Nacht, die ja bislang auf unserer Venushälfte noch ganz unbekannt war, wissen wir nichts anzufangen. Darum sagen wir dir, Knax, gib dem Schatten bald einen solchen Knax, daß alles Nachtartige verschwindet. Sonst gehen wir alle an Lichtmangel zugrunde. Und das werdet ihr doch nicht wollen.“

Knax kraute sich mit seinen zwanzig Händen hinter seinen sieben Ohren und rief wehklagend:

„Wie soll ich das machen? Wie soll ich das machen? Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht!“

Er lief in eine Höhle und dachte wieder nach – und ihm fiel ein, daß man ja alle Ballons am Kraterrande zusammenbinden und in die Lüfte emporsteigen lassen könnte, durch längere Stricke ließ sich ja die Verbindung mit der Venushaut der Nahrungsaufnahme wegen leicht herstellen – und wenn die Ballons ein paar Meilen hoch steigen.

Und siehe – bald stiegen sie auch ein paar Meilen hoch empor.

Und da machte man dann neue Ballons über den Kratern und ließ diese neuen Ballons auch – bevölkert mit vielen Zwanzigarmigen – zum Himmel emporsteigen.

Und da schwebten dann bald sehr viele Ballons, die alle möglichen Formen annahmen, in den Venuslüften herum.

Und die schildkrötenartigen Bewohner der Venusoberfläche freuten sich über die Belebung der Atmosphäre ebenso sehr wie die Zwanzigarmigen, die natürlich niemals runter fielen, da sie ja viel zu gut klettern konnten.

„Jetzt sind alle Schatten weg!“ sagten die dicken Faulen.

„Und die unruhigen Geister auch!“ fuhren sie fort.

Knax aber ließ sich oben auf dem größten Ballon, aus dem nicht weniger als zweihundert keulenförmige Nebenballons herausgewachsen waren, als Retter verehren und sagte dazu:

„Ja, ja, Ballonhautbewohner! Wenn man sich nicht zu helfen weiß, so ist man nicht sehr schlau. Im anderen Falle aber ist man’s ganz bestimmt.“

Und die riesengroße Sonne mit ihren Protuberanzen machte die Wangen und die Hände des weisen Knax ganz braun – so heftig brannte sie hoch oben in der Venusluft.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Scheerbart: Die neue Oberwelt. Die Aktion, Berlin 1911, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Aktion_1911_56.png&oldid=- (Version vom 17.1.2018)