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späteren Ursprungs sind und durch Vermittelung der Klerisei an gewissen Wallfahrtsorten ihren Ursprung gefunden haben. Auch die Frage des Ursprungs der Artussage, der Originalität Chrestiens und seiner Stellung zur lettischen Volksliteratur hat großen Staub aufgewirbelt. Berühmt sind die Fehden, die Wendelin Foerster mit französischen und deutschen Gelehrten darob ausgefochten hat. Ja, wir stehen noch mitten im Kampfe, in voller Rüstung stürzen die Gegner wutentbrannt aufeinander, das Schlachtgeschrei erhebt sich hüben und drüben, Lanzensplitter fliegen hin und her, und wem von den tapfern Artuskämpen der Sieg zufallen wird, steht noch dahin.

Die Erfolge emsiger Einzelarbeit ermutigten die Forschung in unserm Zeitraum auch an die Darstellung der ganzen altfranzösischen Literatur heranzugehen. Gröber bot in seinem Grundriß die sorgfältigste und erschöpfendste Geschichte altfranzösischen Schrifttums, die wir besitzen. Das Bild mittelalterlichen Geisteslebens in Frankreich vervollständigte er durch seine lateinische Literatur. Suchier schrieb für das größere gebildete Publikum seine geistvolle und elegante, auf gründlicher Kenntnis beruhende Literatur der Altfranzosen und Provenzalen. Voretzsch bot den Studenten in seiner „Einführung“ ein willkommenes und zuverlässiges Handbuch. In Stimming fand die provenzalische, in Baist die spanische Literatur glückliche Bearbeiter.

Früher hatte man oft der seltsamen Ansicht gehuldigt, daß die neuere Zeit vom 16. Jahrhundert ab der wissenschaftlichen Forschung nicht wert sei. Literaten und Schöngeister mochten sich damit beschäftigen, für ernste Gelehrtenarbeit war das Mittelalter da. Immer mehr bricht sich glücklicherweise die Ansicht Bahn, daß diese Anschauung durchaus verkehrt ist, und die neuere Zeit der wissenschaftlichen, gründlichen Durcharbeitung nicht bloß wert ist, sondern daß es eine heilige Pflicht der Romanistik ist, gerade die Zeiten, in denen die romanischen Literaturen für das Geistesleben der Menschheit das Größte getan haben, einer ganz eingehenden und gewissenhaften philologischen Prüfung zu unterziehen. Auch hier fehlte es nicht an Einzeluntersuchungen. Rabelais und die Renaissanceliteratur, Molière, die Großen und Kleineren des Blütezeitalters, Voltaire und Rousseau, einzelne Dichter des neunzehnten Jahrhunderts wurden von den einen und andern Gelehrten unter die Lupe genommen. Sei es, daß die einen die poetische Gattung und ihre Geschichte, sei es, daß die andern eher die Persönlichkeit, ihren Charakter, ihr Verhältnis zu andern Dichtern, ihre Eigentümlichkeiten mehr berücksichtigten, sei es, daß diese Untersuchungen in Zeitschriftenartikeln oder in Büchern erschienen, jedenfalls legten sie das Zeugnis ab, daß Deutschland nicht zurückbleiben will, wenn es gilt, den Anteil der romanischen Literatur an der Entwickelung moderner Zeiten zu untersuchen und darzustellen. Und auch hier begleitete die Darstellung größerer Zeiträume die Einzeluntersuchung. Morf gab eine glänzende, an prägnanten Charakterbildern reiche Literatur des 16. Jahrhunderts, Birch Hirschfeld, der dieselbe Zeit zuerst darzustellen begonnen hatte, bot eine vollständige Geschichte der neueren französischen Literatur vom 16. Jahrhundert an bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Auch die italienische Literatur fand Bearbeiter. Freilich wurde leider Gasparys geistvolle Geschichte nicht weiter geführt, aber Dante und seine Vorläufer fanden in Voßler einen Gelehrten und Künstler, der sie den Gebildeten in ebenso gediegenen wie kunstvollen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/77&oldid=- (Version vom 20.8.2021)