Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 3.pdf/57

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Auch das dunkle Südarabien, die Arabia Felix der Römer, entschleiert sich allerdings noch langsam dem Forscherblick. Noch sind es isolierte Inschriften, noch fehlt die systematische Ausgrabung, aber schon unterscheiden wir Dynastien, und die Grundlinien von Religion und Sitte, von Staat und Gesellschaft dieser heute noch unbetretenen Gebiete werden uns klar. Ihre Wichtigkeit erhellt aus der geographischen Lage. Zwei Welten stoßen hier aneinander. Solange man altorientalische Geschichte treibt, in keinem Zeitraum haben sich die Quellen so überraschend vermehrt wie in dem letzten Vierteljahrhundert, und an allen diesen Entdeckungen hat der Kaiser mit der ganzen Begeisterungsfähigkeit seiner Natur warmen und energisch fördernden Anteil genommen. Die Wissenschaft hat noch nicht überall den nötigen Abstand von den Ereignissen gefunden. Es gibt ja wohl auch nichts Schwierigeres als sicheres Augenmaß gegenüber der Zufälligkeit historischer Informationen. Aber wie breit und wie tief ist die Geschichte des Altertums geworden von Gudea und Menas bis an die Schwelle des Hellenismus! Manches wird gewiß überschätzt. Die übertriebene Wertung babylonischer Einflüsse war eine Kinderkrankheit, und doch wie weit hat Babylon gewirkt. Wie anders sieht die neueste Geschichte des Altertums aus, wenn man sie mit den besten Werken vor 25 Jahren vergleicht! Und eine freudige Hoffnung schwebt über unserer Arbeit. Wir stehen erst am Anfang einer wirklichen Erschließung des orientalischen Altertums!

Was im Vorangehenden zusammengefaßt ist, stellt sich in der Wirklichkeit als eine Fülle von Sonderwissenschaften dar, die kein Einzelner mehr philologisch zu beherrschen vermag. Ganz unübersehbar wird aber das Material, wenn wir in die hellenistische und römische Zeit eintreten, die hier ausgeschlossen werden muß, und wenn wir dann weiter den christlichen und islamischen Orient des Mittelalters und der Neuzeit ins Auge fassen. Sprach- und Kulturkreise decken sich hier nur selten, und es ist fast unmöglich, das bunte Leben, das hier in den letzten 25 Jahren geherrscht hat, in logisch aneinanderreihbare Schlagworte zu fassen. Im Mittelpunkt der philologischen Betrachtung steht das Arabische. Die Gründung einer wirklich exakten philologischen Methode durch Fleischer lag bereits vor 1888, aber Fleischers Einfluß war so groß, daß sich die Forschung erst ganz allmählich von dem ausschließlich grammatischen Interesse freimachen konnte. Die Arabistik entwuchs der arabischen Schulweisheit, immer energischer wurde die lebende Sprache herangezogen, und von der Dialektforschung aus dämmert jetzt ein neuer Tag. Zwar sind wir noch weit entfernt von einer historischen Grammatik auch nur des Arabischen; auch der Wandel der Literärsprache in den bald anderthalb Jahrtausenden ihres Bestehens ist noch völlig ununtersucht, aber wieviel wichtige Detailarbeit ist nicht überall geleistet! Die Entwicklung war nicht auf das Arabische beschränkt; im Aramäischen − klassische Grammatiken des Syrischen und Mandäischen brachten wir schon in unsere Periode mit hinein −, im Äthiopischen, überall der gleiche Prozeß, neue Dialekte, neue semitische Sprachen werden uns erschlossen, und auf phonetischer Basis sehen wir langsam eine wirkliche semitische Sprachwissenschaft erstehen.

Auch auf den nichtsemitischen Sprachgebieten des Orients regt sich ein neuer Geist, aber der Ausbau des Türkischen, Persischen und Armenischen leidet in Deutschland an der geringen Zahl der Arbeiter. Die stiefmütterliche Behandlung dieser Sprachen an

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/57&oldid=- (Version vom 15.9.2022)