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Eignung zum Herrschen von der Thronfolge ausschließt, und daß es ihr deshalb – außer etwa bei der Aburteilung Jugendlicher – sobald schon gelingen wird, als Richterin zu funktionieren. Daß sich auch die männlichen Oberlehrer sträuben, an staatlichen oder städtischen Mädchenanstalten sich einem weiblichen Direktor unterstellen zu lassen, ist freilich wenig konsequent, nachdem sie das an Privattöchterschulen doch längst schon freiwillig und ohne Arg getan haben. Immerhin zeigt es, wieviele Vorurteile, Widerstände und berechtigte oder unberechtigte Imponderabilien hier noch zu überwinden sind, bis Sitte und Gesetz zusammen die Sache definitiv geregelt haben. Unbestritten dagegen bleibt die Mitarbeit der Frau nach wie vor auf sozialem Gebiet; namentlich unsere großen Kommunen scheuen sich nicht, sie ehrenamtlich und als Berufsarbeiterin und Beamtin dafür heranzuziehen; besonders bei der Jugendfürsorge ist diese Mitarbeit in tausend und abertausend Formen erwünscht.

Frauenstimmrecht. Die Frau in politischen Versammlungen.

Noch tiefer in das öffentliche Leben greift der Kampf um das Frauenstimmrecht ein. Wie ernst es den – oder sagen wir vorläufig richtiger: einzelnen – Frauen mit dieser Forderung ist, lehren die wilden und bösartigen Kämpfe der Suffragetten in England, deren Ausschreitungen freilich sofort auch das prinzipielle Bedenken wachrufen, ob die Frau staatsbürgerlich genug – sollen wir sagen: genaturt oder geschult? – wäre, um dieses höchste Bürgerrecht ausüben zu können, das doch auch die Pflicht, beim Überstimmtwerden den Boden des Gesetzes nicht zu verlassen, in sich schließt. Jedenfalls ist es damit genau, wie mit den Kämpfen um das Frauenstudium: man fängt mit dem Letzten und Höchsten an und fragt nicht, ob auch die nötige Vorbereitung und Vorbildung dazu da ist. Und hier scheint mir dies besonders unklug und ungerecht. Gewiß ist nicht jeder einzelne Mann politisch interessierter oder politisch reifer und für das Stimmrecht geschulter als jede einzelne Frau und ist überhaupt nicht jeder dafür vorbereitet und politisch reif. Deshalb fordern wir ja heute gerade auch in Knabenschulen die staatsbürgerliche Erziehung, damit diese Mängel ergänzt und diese Lücken ausgefüllt werden. Aber daß Männer die Träger der politischen Geschichte sind, soweit unsere Menschheitserinnerung zurückreicht, die Kämpfe um der Menschheit große Gegenstände, um Herrschaft und um Freiheit ausgefochten und dabei gelernt, Kenntnisse, Rutine und vor allem Interesse für das Politische gewonnen haben, das läßt sich doch nicht bestreiten; und diese von ihnen geleistete Arbeit gibt ihnen gerade hier einen entschiedenen Vorsprung und ein entscheidendes Vorrecht. Jedes Gemeinderats- und Dorfschulzenamt ist ein Stück politischer und parlamentarischer Schulung zu allen Zeiten und in allen Ländern gewesen. Auf der Universität hat das Verbindungsleben den Gemeinsinn geweckt und Disziplin gelehrt, und in unseren Schulen sind selbst zu einer Zeit, wo von besonderem staatsbürgerlichen Unterricht noch längst keine Rede war, die Knaben im Geschichtsunterricht, auf unseren Gymnasien vor allem durch die Bekanntschaft mit den politischen Einrichtungen und Kämpfen der Griechen und Römer doch ganz anders für das öffentliche Leben vorbereitet worden als die Mädchen in den höheren Töchterschulen. Das alles läßt sich nicht von heute zu morgen nachholen:

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/554&oldid=- (Version vom 12.12.2020)