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Bewohner nicht bloß durch Kirchenbauten und Bekehrungen, sondern auch durch Gründung von Schulen und Anlegung von ärztlichen Stationen und durch Erziehung der Eingeborenen zur Arbeit mächtig beitragen; in der kaiserlosen und kolonienlosen Zeit Deutschlands sind sie die einzigen Träger des kolonialen Gedankens im deutschen Volk gewesen und haben den Samen zu dem ausgestreut, was in dieser Beziehung heute bei uns geschieht und lebendig ist.

Daß sich die religiöse Vereinsbildung mit der sozialen verbindet, zeigt vor allem der oben genannte Volksverein für das katholische Deutschland und zeigen die zahlreichen katholischen und evangelischen Jünglings-, Jungfrauen- und Gesellenvereine; und daß den sozialdemokratischen Gewerkschaften und den liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen eine christliche Gewerkschaftsbewegung zur Seite geht, ist schon erwähnt worden; ebenso, daß in ihr konfessionelle und innerkonfessionelle Gegensätze eine Rolle spielen und Kämpfe hervorrufen, die innerhalb des Zentrums auch politische Bedeutung haben und denen durch den „Frieden von Metz“ schwerlich ein Ende gesetzt ist.

So kann man das Vereinsleben gar nicht hoch genug einschätzen in seiner Wirkung auf unser ganzes Volkstum und in seiner Verschlingung mit dessen tiefsten und im innerlichsten Lebensinteressen, wenn man auch seine Auswüchse und Gefahren, seine komischen und seine philisterhaften Seiten darüber nicht übersehen mag. Auch in ihren Kämpfen und Gegensätzen zeigt sich in erster Linie Kraft und Leben nach dem Heraklitischen Wort vom Streit als dem Vater aller Dinge. Daß selbst der gefährlichste, der konfessionelle Gegensatz für unser Volk auch sein Gutes gehabt und uns vor Stagnation und geistiger Uniformierung, vor religiöser Gedankenlosigkeit oder vor irreligiöser Frivolität glücklich bewahrt hat, darauf habe ich oben schon hingewiesen.

Frauenbewegung.

Dem allgemeinen Zug zur Vereinsbildung haben sich auch die Frauen angeschlossen, nicht bloß in der alten Weise zu charitativer Betätigung, sondern auf dem ganz modernen Boden der Emanzipationsbewegung der Frau. Was hat die Frau mit dem öffentlichen Leben zu schaffen? konnte man Jahrhundertelang fragen. Das Wort, daß die die beste sei, von der man am wenigsten rede, war allgemein als Wahrheit anerkannt. Die Frau gehörte wirklich nur ins Haus; und wenn eine Königin Elisabeth oder eine Kaiserin Maria Theresia auf dem Thron „ihren Mann stellte“, so waren das eben Ausnahmen, die auf der Höhe der Menschheit allein möglich waren. Nur in der Renaissance, namentlich der italienischen, beteiligte sich die Frau eine Zeitlang an der neuen Bildung und an den Bildungsbestrebungen der Männer. Im übrigen war sie Haustochter, Hausfrau und Mutter; bloß charitativ hatte sie sich, als dazu besonders geeignet, in Krankenhäusern oder in Armenvereinen zur Arbeit auch außerhalb der häuslichen Sphäre bereit finden lassen. Das gilt heute nicht mehr. Mann und Frau sind physiologisch und psychologisch verschieden, sogar total, in allen ihren Lebensäußerungen verschieden. Aber wie groß diese Verschiedenheit ist und wieweit ihr Rechnung getragen wird, das ist Sache der historischen Entwicklung, dabei spielen wirtschaftliche Verhältnisse, spielt aber auch menschliche Willkür eine Rolle. Und nun war es dahin gekommen, daß in den

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/551&oldid=- (Version vom 12.12.2020)