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ist noch früher auf dem Platz gewesen, sie hat ihre Jugend besonders organisiert und hält sie von der anderen geflissentlich zurück, um sie in parteipolitischem Sinn beeinflussen zu können. Dadurch wird nicht nur der Zweck der sozialen Mischung und Ausgleichung vereitelt, sondern durch den Gegensatz ist die Jungdeutschlandorganisation ganz von selbst zu einer Abwehrbewegung geworden, und ihr Patriotismus hat eine polemische Spitze bekommen. So treten parteipolitische Gesichtspunkte zu einer Zeit an die jungen Menschen heran, wo man sie ihnen vielmehr noch durchaus fernhalten müßte. Man wird daher alles daransetzen müssen, die patriotische Seite recht unbefangen und tendenzfrei zu gestalten.

Weiter, daß der Sport auch Auswüchse zeitigen kann, das weiß das Volk des Sports, wissen die Engländer selber am besten. Bei uns war eine Zeitlang die Hauptgefahr das Dominieren des Alkohols, der die Weihe nicht aufkommen ließ, die über die Spiele der Griechen ausgebreitet war. Um so mehr freuen wir uns des spartanischen Geistes der Mäßigkeit und der Enthaltsamkeit, der heute bei den Wanderungen und Spielen unserer Jugend, um jener Gefahr zu begegnen, entschieden gepflegt wird. Dagegen ist der Rekordtaumel, der von den Alten zu den Jungen und von den Jungen zu den Alten geht und aus dem Spielen ein ehrgeiziges Hasten und ein schädliches Sichüberbieten und -überanstrengen macht, eine vielfach recht leidige Begleiterscheinung unseres neudeutschen Sporttreibens.

Eine andere Einseitigkeit, die der Bewegung anhaftet, ist, daß man von militärischen wie von antimilitärischen Anschauungen und Tendenzen aus diese jugendlichen Übungen und Spiele allzusehr schon als Vorschule des Militärdienstes ansieht: hier will man sie zur Verkürzung der Dienstzeit benützen, dort durch sie die Dienstjahre unvermerkt verlängern und ihnen gewissermaßen vorne ein Stück ansetzen. Dadurch kommt die Bewegung unter den einseitigen Einfluß militärischer Gesichtspunkte und nimmt militärische Formen an, die für die Jugend nicht ohne weiteres passen und ihr etwas von der Bewegungsfreiheit wegnehmen, die man an der Schularbeit mit Recht vermißt und deswegen der Schule durch allerlei künstliche Mittel zuzuführen sucht. Der Unterschied von Spiel als einem Freien und Arbeit als einem zu Erzwingenden wird verwischt, und die Kosten davon hat die Freiheit zu tragen, den Gewinn hat der Zwang, den Schaden die Jugend.

Endlich droht noch in anderer Beziehung Einseitigkeit und Übermaß. Der Intellektualismus, der Geist hat uns Deutsche hochgebracht; daher wollen und dürfen wir ihn nicht verächtlich beiseite werfen, als ob er seine Schuldigkeit getan hätte und nun gehen könnte: das wäre eine üble Einbuße am Wertvollsten. Gewiß war eine Ergänzung nach der Seite der körperlichen Ertüchtigung hin notwendig, der intellektuellen Überfütterung und Überbürdung der Jugend mußte ein Ende gemacht und ein Gegengewicht geboten werden. Daher ist der neue Eifer löblich und nützlich. Aber nun sieht es auf einmal so aus, als ob namentlich bei den Nachschulpflichtigen das Körperliche alles und das Intellektuelle gar nichts mehr wäre. „Allzuviel Sport frißt Gehirn“, und doch ist Gehirn feiner und wertvoller als Muskeln und Knochen und bringt weiter als diese. Darum ist geistige Nahrung nach wie vor nötig. Wann soll aber der junge Handarbeiter oder der

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/548&oldid=- (Version vom 12.12.2020)