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Journalist sein, wie Bismarck ein solcher gewesen ist, oder große Journalisten an der Hand haben. Und dafür genügt nicht etwa nur ein offizielles Organ, in dem die Regierung selbst in jedem Augenblick zu Wort kommen und dem Volk ihre Anschauungen und Absichten „offiziell“ zur Kenntnis bringen kann, sondern sie wird auch andere Blätter zu beeinflussen und für ihre Ansicht zu gewinnen, diese in ihnen „offiziös“ zu Gehör zu bringen suchen; denn wer liest die offiziellen Blätter? und wer bringt gerade ihnen volles Vertrauen entgegen? Alles das gilt natürlich auch von der inneren Politik. Die aufreizende Sprache, die tendenziöse Darstellung der Presse macht einen an sich vielleicht unerheblichen Vorfall erst gefährlich und wirft den Funken ins Pulverfaß oder rückt ihn, der anfangs bedenklich aussah, ins rechte Licht und läßt ihn das Volk verstehen oder macht ihn harmloser als er ist und nimmt ihm Giftzahn und Stachel; sie bereitet die Reformen vor, indem sie ihre Notwendigkeit begründet und die einzuschlagenden Wege diskutiert und kritisch auf den gangbarsten hinweist; sie führt sie beim Volk ein, macht sie populär, macht das Volk den neuen Ideen zugänglich und geneigt oder warnt vor Utopien und Schaumschlägerei, vor Überschätzung und Täuschung. So ist die Presse wirklich eine Großmacht, wie Napoleon den Rheinischen Merkur von Görres genannt hat, und die Leiter großer Blätter haben etwas von kommandierenden Generalen an der Spitze eines großen Stabs von Mitarbeitern; die Journalisten sind in unserer demokratisch gewordenen Zeit nicht bloß einflußreich, sie sind geradezu Machthaber.

Niveau des Journalistenstandes.

Daher kommt soviel darauf an, wie hoch oder wie nieder in einem Volk das Niveau des Journalistenstandes ist. Daß in ihm sich auch minderwertige Gesellen finden, Schiffbrüchige, die hier ein letztes Unterkommen finden, Menschen von zweifelhafter Moral und zweifelhafter Bildung, ist nicht zu bestreiten. Aber es setzt sich – und nicht zum wenigsten auch in den Kreisen und Standesvertretungen der Journalisten selbst – doch immer mehr die Erkenntnis durch, daß entsprechend ihrer großen Verantwortung und ihrer großen Macht die Vertreter dieses Berufes, an großen Zeitungen wenigstens, sorgfältig ausgewählte, hervorragend kenntnisreiche und gebildete, ihrer Verantwortung voll bewußte Männer sein müssen. Eine besondere Journalistenfachschule, eine eigens auf sie zugeschnittene akademische Laufbahn wird von den Journalisten selbst abgelehnt und – ganz abgesehen von dem übeln Verlauf eines solchen Versuches in Heidelberg – mit Recht abgelehnt: gerade auf der Mischung der verschiedensten akademischen und nichtakademischen Berufe und Bildungswege beruht die Fülle des Wissens, die für den Journalisten- und Mitarbeiterstab einer großen Zeitung absolut notwendig ist; und das Technische lernt sich ohnedies besser in der Praxis als in einem akademischen Seminar, das dann mindestens auch eine Übungszeitung zur Hand haben müßte.

Witzblätter.

Mit einem Wort sei hier noch besonders der Witzblätter gedacht, die durch die dem Witz innewohnende Schlagkraft und durch die sich damit verbindende Anschaulichkeit der Karikatur besonders drastisch und deswegen besonders stark zu wirken pflegen. Man denkt dabei gewöhnlich, aber nicht ganz mit

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/537&oldid=- (Version vom 12.12.2020)