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vergessen, daß nach dem Wort des großen Königs jeder Führer und Regierer immer nur der erste Diener seines Volkes und Staates sei. Daß sie Diener ihrer Völker sind, das vergißt heute kaum mehr einer von unseren Fürsten; daß sie Diener des Publikums sind, vergessen manche Beamte nur zu leicht.

Wenn wir nun an das Beamtenheer denken, das in Deutschland in die Millionen geht und nur immer mehr wächst, so könnte man fast gar geneigt sein, in erster Linie in ihnen das öffentliche Leben verkörpert zu sehen. Und ein gut Teil davon ist es wirklich. Daher kommt so viel an auf die Intaktheit dieser Träger des öffentlichen Dienstes von oben nach unten und von unten nach oben; sie ist sozusagen Barometer und Wertmesser für das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein gewisser elementarer Rechtlichkeits- und Rechtschaffenheitsbegriffe, auf denen – ich kann es nur noch einmal wiederholen – die Gesundheit unseres öffentlichen Lebens und seiner „Sitten“ beruht. Und das beste Zeichen, wie es damit bei uns steht, ist doch wohl das große Aufsehen, das etwa vorkommende Ausnahmefälle erregen, und der Sturm der Entrüstung, der bei ihrem Bekanntwerden uns alle erfüllt. Wir sind stolz auf diese heute selbstverständliche, aber in Wahrheit mühsam erworbene und in langer harter Arbeit großgezogene Intaktheit des deutschen Beamtentums, darum reagieren wir gegen jede Verletzung und gegen jeden Mißbrauch ganz besonders empfindlich und empört.

Volksvertreter.

Unserer im allgemeinen und gleichen Stimmrecht zum Ausdruck kommenden und durch dasselbe so demokratisch gewordenen Anschauung entspricht es aber doch mehr, als die Träger des öffentlichen Lebens nicht in erster Linie die Beamten, sondern vor allem die vom Volk gewählten Vertreter anzusehen, in jeder Gemeinde die Gemeinde- oder Stadträte und Stadtverordneten, in jedem deutschen Einzelstaat die Landtagsabgeordneten, ganz besonders aber für das ganze Reich den deutschen Reichstag. So haben wir ein reich entwickeltes und mannigfach abgestuftes parlamentarisches Leben, und in gewissen Zeiten des Jahres klappern in allen Hauptstädten die Parlamentsmühlen bald laut, bald leise, bald harmonisch, bald in starken Dissonanzen in die deutschen Lande hinein. Dabei gelten die nach dem Prinzip des allgemeinen Stimmrechts gewählten Volksvertreter in erster Linie als Ausdruck des öffentlichen Lebens; in Wahrheit aber sind es die ersten Kammern mit ihren gesetzlich festgelegten Korporationsvertretern oder ihren vom Landesherrn (in Elsaß-Lothringen vom Kaiser) ernannten Mitgliedern genau ebenso: nicht auf ihre Herkunft, sondern auf ihre Qualität und ihre Lebendigkeit und Lebensäußerungen kommt es an.

Öffentliche Meinung.

Aber Ausdruck der öffentlichen Meinung sind allerdings jene mehr als diese; und diese öffentliche Meinung steht freilich in einem besonders engen Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben, wenn es auch nicht so ist, daß dieses in ihr allein und ganz in ihr sich ausspricht. In der öffentlichen Meinung ist, wie Hegel sagt, „alles Falsche und Wahre; sie enthält die ewigen substantiellen Prinzipien der Gerechtigkeit, den wahrhaften Inhalt und

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/530&oldid=- (Version vom 4.8.2020)