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Bühne zunächst eine Stätte der Erhebung und Erbauung sein, oder sie soll, wenn sie dies nicht ist, zum Nachdenken reizen und darf daher nicht vermeiden, das Grause und Düstere des Lebens, das Packende, Ergreifende, Abschreckende und dadurch vielleicht Heilende vorzuführen. Aber es geht nicht an bei aller gewiß gerechten Abweisung des Bloß-Frivolen, Rein-Erotischen, Abgeschmackt-Unsinnigen die heitere Muse ganz zu verdammen, die bloß auf Unterhaltung hinstrebt, und selbst auf Kosten der Wahrscheinlichkeit durch ihre Häufung von Possenmotiven dem ernsten, beschäftigten, von Tagesarbeit erschöpften und zermürbten Mann die Sorgen von der Stirne scheuchen und den Ernst des Lebens durch Lächeln verklären will. Nur muß man solche Gattungen nicht zur Hauptabteilung machen, und Werke dieser Art nicht zu literarischen Kunstwerken stempeln.

Mit dieser Beschränkung seien, um nur zwei der erfolgreichsten Vertreter der leichten Muse zu erwähnen – die beiden Brüder Schönthan, Fritz Skowronneck seien nur genannt –, Gustav Kadelburg und Oskar Blumenthal kurz charakterisiert.

Gustav Kadelburg.

Der erstere hat mit seinen Lustspielen „Goldfische“, „Zwei glückliche Tage“, „Der Herr Senator“, „Großstadtluft“, „Im weißen Rößl“ (die letzteren beiden gemeinsam mit Oskar Blumenthal), „Husarenfieber“ ganz ungeheure Erfolge in Deutschland und im Ausland errungen. Diese lustigen Arbeiten erfüllen den Zweck leichter, harmloser Unterhaltung, den sie erstreben, halten sich möglichst frei von Unanständigkeiten, sündigen nicht allzusehr gegen die Wahrscheinlichkeit, verraten gute Erfindung, große Bühnenkenntnis, schlagfertig Humor, witzige Pointen, anmutige Situationen und verfallen möglichst selten in unangebrachte Rührseligkeiten.

Oskar Blumenthal.

Oskar Blumenthal hat sich selbst in das Album schrieben, sein Ruhmestitel solle sein:

„Mürrischen und Sauren zu mißfallen.“

Diesen Ruhmestitel darf er gewiß durch seine Stücke in Anspruch nehmen. Zu seinen erfolgreichsten Lustspielen gehören: „Der Probepfeil“, „Die große Glocke“, „Ein Tropfen Gift“, „Matthias Gollinger“, „Fee Caprice“, „Das Theaterdorf“, „Wenn wir altern“, „Schwur der Treue“. Geschickte Behandlung der Sprache, treffender Witz, espritvolle Unterhaltung, üppiger Reichtum der Erfindung, überraschende drastische Situationen, possierliche Verwicklungen machten und machen seine Stücke beliebt. Durchgeführte Charakteristiken, Vertiefung in sittliche und Kulturfragen darf man nicht bei ihm erwarten, aber es ist ungerecht, weil unhistorisch, ihn unter Kotzebue und Saphir zu stellen, da die Frivolität des ersteren ihm ebenso abgeht, wie die krankhafte Witz- und Worthascherei des letzteren.

Naturalisten.

In dem letzten Jahrzehnt sind außer all den bisher schon genannten Männern unendlich viele am Bau tätig gewesen. Der krasse Naturalismus hat in Schlaf und Holz zwei Propheten gefunden, aber durchaus keine Dramatiker, die dauernde Leistungen zu schaffen vermochten.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/503&oldid=- (Version vom 20.8.2021)