Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 3.pdf/501

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Aber es fehlt ihm die Gabe, als Herzenskündiger zu erscheinen und das Bild wahrhafter Leidenschaft zu entrollen. Statt dessen verkündet er matte Entsagung. Er krankt ferner an dem Fehler, sich häufig zu wiederholen, so daß Motive seiner früheren Werte in den späteren immer wieder erklingen; namentlich die „Magda“ aus der Heimat hat gar zu viele Nachahmerinnen in den späteren Arbeiten gefunden. Das Neue in diesen Arbeiten seiner zweiten Periode besteht darin, daß er das Parteitreiben in den Kreis seiner Schilderungen zieht und darzutun sich bemüht, wie der Moloch der Partei, entweder rücksichtslos seine Opfer fordert oder mindestens ihr Tun und Lassen nach bestimmten Forderungen heischt. Während dies Problem in „Es lebe das Leben“ nicht sonderlich glaubhaft ausgeführt wird, erweist sich „Sturmgeselle Sokrates“ jedenfalls als belebtes, im ganzen glaubwürdiges Bild der älteren und jüngeren Generation, wobei die ältere, an ihren Idealen festhaltend, unsere Sympathie sich wahrt, während die jüngere, den neuen Kraftworten zujubelnd, die Oberhand behält. Aber die Jugend ist recht wie der Most, der sich absurd gebärdet, und der Verfasser läßt nicht deutlich genug erkennen, welcher Partei er eigentlich von Herzen zugetan ist.

Sein letztes Stück „Die drei Reiherfedern“, die in eine blutlose Vergangenheit geleiten, sind nur eine schwächliche Umdeutung dunklen Aberglaubens und bieten außer der Erfindung eines männlich-kühnen Draufgängers, des Knechtes Hans Lorbaß, mehr Schemen als Charaktere, aber keine wirklich künstlerische Darstellung vergangener Zustände.

L. Fulda.

Während Sudermann nicht den sogenannten Modernen zuzurechnen ist, vielmehr deren Bestrebungen verspottete und zur Vergeltung von ihnen verachtet wurde, hat Ludwig Fulda , persönlich mit den Führern der neuen Richtung befreundet, sich ihnen kameradschaftlich angeschlossen und ist doch als Dichter seine eigenen Wege gegangen. Ein Sprachkünstler hervorragender Art, ein gründlich gebildeter, fein und ästhetisch empfindender Mensch, so tritt er in allen seinen Werken auf. Seine Lustspiele, von denen hier ausschließlich zu reden ist, sind keine Meisterleistungen, wie seine Übersetzung von Rostands Cyrano de Bergerac und seine unvergleichliche Verdeutschung Molières, sie tragen nicht die Bedingung der Ewigkeitsdauer an sich, aber es sind Werke eines feinen Geistes, in edler Sprache geschrieben, mit sicherer Beherrschung aller Mittel. Den ersten großen, vollverdienten, nicht wieder erreichten Erfolg erlangte er durch den „Talisman“. Die Dramatisierung eines Märchenstoffes, bei dem man nicht, wie es häufig geschehen ist, starke und bewußte Anlehnung an die nordische Literatur suchen darf, ein Märchen ohne Wunderbares und Unbegreifliches, mit starken satirischen Wendungen gegen Hofschranzentum, mit echt menschlicher Erhebung der Niedrigen und Dürftigen und mit liebenswürdiger Verklärung der Liebe.

Fulda hat seitdem manche ähnlichen Märchenstoffe bearbeitet, sich auf dem Gebiet der Tragödie versucht ( Herostrat ), Künstler- und Gelehrtenkreise vergangener Epoche zu beleben unternommen ( Novella d’Andrea ), aber seine Domäne ist recht eigentlich das Zierliche, nie Spielerische, das Elegante, nicht Frivol-Mondäne, das an psychologischen Problemen keineswegs vorbeigeht, ohne sich ihnen grüblerisch vollkommen gefangen zu geben.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/501&oldid=- (Version vom 20.8.2021)