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Forschung ist die Teilnahme des Kaisers besonders zugute gekommen. Sie hat auch auf ganz entlegenem Gebiete, in dem spanischen Numantia, eine ergebnisreiche Grabung ermöglicht. Auch der Abschluß der Aufdeckung der Burg von Ilion wird dieser Hilfe verdankt. Hier führen die Funde in das zweite Jahrtausend v. Ch., dessen Kultur dann durch die Grabungen anderer Nationen besonders auf Kreta in blendender Pracht und Fülle ans Licht getreten ist. Diese vorhomerische und vorgriechische Welt wird die Arbeit der nächsten Generation besonders anziehen, einmal wegen ihres Zusammenhanges mit dem Orient und Ägypten, und dann, weil ihr Gedächtnis in dem griechischen Epos ebenso dauert wie die Völkerwanderung in dem deutschen.

Da alle Kulturvölker an dieser Aufdeckungsarbeit teilnehmen, ist die Vermehrung des monumentalen Materiales ungeheuer, und die Disziplin der Altertumswissenschaft, die wir Archäologie nennen, hat den stärksten Aufschwung genommen. Erst jetzt ist sie imstande, die Ursprünge der griechischen Kunst, ihre Anleihen beim Orient und Ägypten, ihren selbständigen Aufschwung zu der klassischen Höhe und weiter zu einer Reichs- und Weltkunst, einheitlich trotz allen landschaftlichen Unterschieden zu verfolgen. Und schon die Herstellung der einzelnen Monumente fordert unabsehbare Arbeit, der erhaltenen und so weit es geht auch der Verlornen: kann doch nun sogar die Geschichte der Malerei ernsthaft in Angriff genommen werden. Und was besagt es nicht, daß es möglich, also notwendig ist, den Typus der ganzen Stadt mit Hafen und Befestigung, Rathaus und Theater, Wasserleitung und Kanalisierung zu erfassen.

Auch schriftliche Denkmäler hat die Erde in Menge gespendet, und die Akademie hat die Inschriftsammlung seit langem in der Hand. Die lateinische Sammlung hat Mommsen noch fast vollendet gesehen; Zuwachs kommt auch hier, doch ist er nur in Afrika sehr bedeutend, das dank der französischen Lokalforschung die reichste Illustration des provinziellen Lebens in der Kaiserzeit liefert. Auf dem griechischen Gebiete hat die Sammlung mit den Entdeckungen nicht Schritt gehalten, ja sogar ihr Arbeitsgebiet auf Europa beschränkt. Dafür strebt sie an, das Studium der Steine und Urkunden in nächste Fühlung mit der topographischen, archäologischen und historischen Lokalforschung zu bringen. Die Steinurkunden sind es, die uns ermöglichen, sowohl in der politischen, wie in der Sprachgeschichte die Kluft allmählich zu überbrücken, die in unserer sonstigen Überlieferung zwischen Alexander und Cäsar liegt, und rüstig ist die Wissenschaft am Werke. Auch die etruskischen Inschriften hat die Akademie in ihre Hut genommen. Vielleicht grade weil sich hier die Forschung bescheidet, nur die ganz sicheren Schritte zu tun, ist sie doch der Lösung des Etruskerrätsels ein wenig näher gekommen, und jedenfalls ist die Schätzung des Einflusses, den die Etrusker auf die Kultur und Geschichte der Italiker ausgeübt haben, stark gestiegen: trägt doch Rom einen etruskischen Namen.

Die griechische Literatur, namentlich die klassische, hat durch die Reste antiker Bücher, die in dem Sande Ägyptens erhalten sind, einen Zuwachs erhalten, wie ihn auch der kühnste Traum nicht geahnt hat. Auch hier hat der Staat den Museen die Mittel gewährt, selbst Papyri zu suchen; der schönste Fund waren freilich die aramäischen Urkunden der Judenschaft von Elephantine, die noch bis hundertfünfzig Jahre älter sind als das älteste griechische Buch, das bei den Grabungen der deutschen Orientgesellschaft zutage trat.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/50&oldid=- (Version vom 15.9.2022)