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Musikgesellschaft“ gibt eine Zeitschrift und „Sammelbände“ für größere Arbeiten heraus, in denen viel wertvolles wissenschaftliches Material veröffentlicht ist. Das Wichtigste sind jedoch die „Denkmäler deutscher Tonkunst“. Wie man in Museen die Meisterwerke der Malerei und Skulptur früherer Zeiten aufbewahrt, um sie späteren Geschlechtern zugänglich zu machen, so sollen auch die hervorragendsten Kompositionen vergangener Jahrhunderte gesammelt und gedruckt werden, nicht nur zum Studium für Musikwissenschaftler, sondern auch, um den historischen Sinn der jetzt lebenden Musikergeneration neu zu wecken. 1892 wurde ein Anfang gemacht, aber 1900 erst kam nach langer Pause die Angelegenheit wieder in Fluß, und unter Leitung Rochus von Liliencrons (später H. Kretzschmars) sind nun eine lange Reihe bedeutender älterer Musikwerke veröffentlicht worden, denen sich die Denkmäler der Tonkunst in Bayern und Österreich angliedern.

Musikpädagogik.

Es wäre noch musikalischen Lehrtätigkeit zu gedenken, die im engsten Zusammenhang mit der reproduzierenden Tonkunst steht. Es herrschen auf diesem Gebiet in Deutschland völlig andere Verhältnisse als in Frankreich, wo das Pariser Conservatoire eigentlich „die Musikschule“ für das ganze Land ist. In Deutschland unterhält oder unterstützt nicht allein jeder Bundesstaat Musikschulen, sondern es gibt auch in jeder großen Provinzstadt zum mindesten ein Konservatorium, das aus privaten Mitteln besteht. Diese Dezentralisation bewirkt ein besseres Gleichgewicht der Kräfte und eine leichtere Ausbildung der Talente. Der Staat Preußen gewährt dem Konservatorium in Köln und dem Hochschen Konservatorium in Frankfurt a. M. beträchtliche Beihilfen, und unterhält vollständig das Kgl. akademische Institut für Kirchenmusik und die Kgl. akademische Hochschule für Musik in Berlin. Die beiden letzten Institute erhielten 1902 neue, prächtige Heime, die Hochschule insbesondere wurde mit einer großen Anzahl von Unterrichtsräumen, einem prächtigen Konzertsaal mit Orgel, einem Theatersaal mit Bühne und einer sehr guten, reichhaltigen Bibliothek ausgestattet. Das Institut war mit seiner Gründung 1869 von Josef Joachim geleitet worden, bis 1907, dem Tode des Violinmeisters und steht jetzt, ebenso wie das Institut für Kirchenmusik unter dem Direktorat von Hermann Kretzschmar.

Diese Musikschulen in allen Teilen des Reichs bilden nun jährlich, neben einer Anzahl von jungen Leuten, die nur als Liebhaber sich mit der Tonkunst befassen, hunderte von Fachmusikern aus. Wenige dieser Musikjünger haben beim Beginn ihres Studiums geahnt, wie schwer es ist, auf die Musik eine Existenz zu gründen. Für gute Orchestermusiker ist verhältnismäßig noch am meisten Bedarf, aber das Heer der klavierspielenden und singenden Herren und Damen ist meistens übel daran, denn das Angebot übertrifft hier die Nachfrage um ein Vielfaches. Jeder fühlt sich natürlich zum ausübenden Künstler berufen, drängt zum Licht und versucht Konzerte zu geben, wodurch die Zahl der Lieder- und Klavierabende eine Höhe erreicht hat, die in gar keinem Verhältnis zum Bedarf des Publikums steht. Tritt das Durchschnittliche ein, daß nämlich die Zuhörer und die Kritik sich durchaus nicht von dem Beruf des Konzertgebers zum Solisten überzeugen lassen wollen, dann ziehen sich die Verschmähten grollend aus der Öffentlichkeit zurück

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1621. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/492&oldid=- (Version vom 20.8.2021)