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Liszts und Wagners getrieben, deren Prinzipien er in durchaus persönlicher Weise verfolgte. Gleich Wagner war auch Liszt davon überzeugt, daß Beethoven in der Form der Symphonie alles ausgesprochen hätte, was überhaupt in ihr gesagt werden könne. Daß dies ein verhängnisvoller Irrtum war, der in den Köpfen jüngerer Musiker viel Unheil angerichtet hat, bedarf kaum des Nachweises. Aber während Wagner nun weiter schloß, daß infolgedessen die reine Instrumentalmusik aufzugeben sei, versuchte Liszt das Problem auf andere Weise zu lösen, indem er poetische Vorstellungen zum Ausgangspunkt seiner Schöpfungen machte; das poetische Programm, das häufig aus einer Dichtung gezogen war, wurde gewissermaßen zum Gerüst des Instrumentalstückes, zum formgebenden Prinzip, das den Umriß und alles einzelne der Gestaltung bedingte. Damit hatte die Instrumentalmusik das Gebiet ihres eigenen Materials verlassen und sich mit einer anderen Kunst verbunden, wie in der Oper und dem Lied, nur daß in der symphonischen Dichtung jene andere Kunst nicht tatsächlich mitvorhanden war, sondern durch die Phantasie des Zuhörers immerfort ergänzt werden mußte. Darin lag eine Fehlerquelle, die in der Praxis denn auch tatsächlich der Anlaß zu vielen Mißbildungen geworden ist.

Liszt also war es, dem Richard Strauß als Instrumentalmusiker nachfolgte, aber überholte er ihn bald beträchtlich, weil er die größere musikalische Potenz und den feineren Sinn für Form besaß. Auf dem Gebiet der symphonischen Dichtung hat Strauß nicht allein die echtesten künstlerischen Erfolge gehabt, sondern überhaupt das Bedeutendste geschaffen, was wir darin besitzen, und zwar ist das nach meiner Meinung „Don Juan“ (1889), „Tod und Verklärung“ (1890) und „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ (1895).

Im Don Juan zeigt sich vielleicht die reichste spezifisch musikalische Erfindung, dazu ist die Gruppierung, die Verteilung von Licht und Schatten so klar und übersichtlich, daß das Werk ohne weiteres einleuchtet. „Tod und Verklärung“ beruht nicht, wie die meisten symphonischen Dichtungen von Liszt auf einem literarischen Werk, das man kennen muß, um die Musik zu verstehen, sondern der Vorwurf ist etwas allgemein Menschliches, man braucht nur die Organe der künstlerischen Empfängnis zu öffnen, um unmittelbar ergriffen zu werden, und diese Eigenschaft hat dem Werk eine so große Zahl von Verehrern geschaffen. Der „Till Eulenspiegel“ wendet sich wieder an einen kleineren Kreis an Zuhörer von musikalischer Natur. Die Musik erreicht hier einen bisher unbekannten Grad von Deutlichkeit im Schildern und Darstellen – ob das ihr Ziel sei kann, soll nicht untersucht werden – sie wird fast zur Rede und Bildkunst, ist zudem so witzig und geistvoll, daß man nicht anstehen wird, dies Stück als genial zu bezeichnen.

In „Also sprach Zarathustra“ (1895) weicht Strauß von dem gangbaren Weg schon beträchtlich ab, denn Nietzsches Dichtung, welche die Entwicklung einer Weltanschauung schildert, eignet sich gar nicht zu einer Umdeutung in Musik. Die Musik kann keine Gedanken ausdrücken, diese kommen für sie nur insoweit in Betracht, als sie unter Umständen Gefühlserreger sein können, und die Darstellung psychologischer Prozesse von der Ausdehnung und Verschiedenheit, wie sie uns im Zarathustra entgegentreten, gehört für sie, bei der Vieldeutigkeit selbst der ausdrucksvollsten Tonfolge, ebenfalls zu Unmöglichkeit. „Ein Heldenleben“ (1899), eine Selbstglorifizierung des Komponisten,

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/487&oldid=- (Version vom 20.8.2021)