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Eindruck als die „Salome“, aber die ungeheuren Übertreibungen, das fast unablässige, die Singstimme verschlingende Orchestergetöse, die grellen Dissonanzen, der ganze Naturalismus, der Geräusche in aller Treue durch Instrumente nachahmen möchte, wirken doch schließlich abstoßend; dafür können einige Stellen, wo Strauß durch die von ihm angewandten Mittel sehr merkwürdige, in dieser Art noch nie dagewesene Wirkungen erzielt, wie bei Orestes Heimkehr und ganz besonders in der Szene, wo Orest ins Haus tritt, um Klytämnestra zu erschlagen, während Elektra vor der Türe in irrer Erregung auf und ab läuft, nicht entschädigen.

Wesentlich anders geartet ist der „Rosenkavalier“ (1911). Hugo von Hofmannsthal hat hier eine altwiener Geschichte mit mancherlei Bedenklichkeiten zu einer Komödie mit Musik dramatisiert, in einem Stil, der zwischen Wiener Mundart und Schriftdeutsch hin und her schwankt. Als Stück finde ich diese Komödie nicht gelungen, der dürftige Vorwurf ist mit Mühe zu drei Akten ausgereckt, ermüdet durch manche Längen, und stößt durch manche Roheiten ab, aber die Musik ist in vieler Beziehung merkwürdig. Sie darf vielleicht als das stilistisch Bunteste bezeichnet werden, was Strauß überhaupt geschrieben hat, denn vom Wiener Walzer, der durch besondere harmonische Zutaten gewürzt wird, bis zum sentimentalen Lied und glänzenden Orchesterstück enthält das Werk alle erdenklichen Ausdrucksmittel, die aber nicht, wie z. B. in der Zauberflöte, unter einen gemeinschaftlichen Generalnenner gebracht sind, sondern getrennt nebeneinanderstehen. Trotzdem finden sich gerade in diesem Werk Momente, aus denen man schließen könnte, daß Strauß aus dem allzu Artistischen herauslenken möchte in die Gebiete gefühlsmäßiger Musik, und einiges ist da, das zum Besten gehört, was er überhaupt geschaffen hat, wie das von Übermut strudelnde Vorspiel zum dritten Akt, ein wahres orchestrales Prachtstück und die unerhört neue und eigenartige Musik beim Auftritt des Rosenkavaliers.

Daß die Erwartungen, die man an den „Rosenkavalier“ geknüpft hatte, sich nicht ohne weiteres erfüllen sollten, zeigte Strauß in seiner „Ariadne auf Naxos“ (1912). Der unermüdliche Experimentator arbeitet hier mit einem ziemlich kleinen Orchester, dem auch Harmonium und Klavier einverleibt sind und erzielt damit eine Reihe sehr eigentümlicher Klangeffekte. Leider ist die Oper ein Anhang zu Hugo von Hofmannsthals Bearbeitung des Molièreschen „Der Bürger als Edelmann“ und von diesem Stück, das die Aufmerksamkeit des Publikums ungebührlich abspannt, nicht zu trennen. So wird es sehr zweifelhaft, ob die „Ariadne“ ihr Leben lange mag fristen können.

Aber, wie schon bemerkt, liegt Straußens eigentliche Stärke nicht auf dem Gebiet der Oper, ebensowenig wie die von Hugo Wolf, der sich ja auch am Bühnenwerk versucht und uns in seinem „Corregidor“ (1896) (Dichtung von Rosa Mayreder nach Alarcon) ein köstliches, heiteres Spiel geschenkt hat. Wie Wolf im Lied wurzelt, so Strauß im Orchesterstück: die „symphonische Dichtung“ ist seine eigentliche Domäne, oder vielmehr, sie ist es gewesen, bis seine Technik so ungeheuer gewachsen war, daß sein Besitz an seelischem Gut ihr nicht mehr genug Manifestationsobjekte bot.

Strauß war in seiner Jugend ein begeisterter Verehrer der Brahmsschen Kunst, wurde dann aber, hauptsächlich durch den Einfluß Alexander Ritters, in das Fahrwasser

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/486&oldid=- (Version vom 20.8.2021)