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atmet auch ihr Stil. – Heißes, oft den Aufbau sprengendes Temperament durchbebt die Werte Helene Böhlaus, die Symbolisches und Naturalistisches verschmelzen („Rangierbahnhof“). Vergängliche Schicksale an unvergängliche Größe wußte sie in ihren Geschichten aus dem alten Weimar zu knüpfen; ein Bekenntnisbuch seelenvollster Art ist „Isebies“. Es darf mit Recht schließen: „So bietet Isebies Sybille eine Handvoll Wasser aus dem unerschöpflichen Meere ihres Lebens und aus dem Meere ihres Leidens und aus dem Meere ihrer Liebe und ihrer Seligkeiten, das hinauf bis in die Ewigkeit rauscht.“

Wie hier Leid und Seligkeit eines Künstlerherzens sich auftun, so leuchteten in dessen Gründe und Abgründe Walter Siegfried („Tino Moralt“), Wilh. Schäfer („Stauffer-Bern“) und Bartsch („Schwammerl“-Schubert) mit vollendeter Seelenkunde hinein, und stille Menschen, die sich aus Haß und Unrecht nach einem gleichgestimmten Gefährten ihrer Innerlichkeit sehnen, die mögen bei den Lebenserinnerungen der Maler (Fechner, Thoma, Steinhausen) einkehren, da finden sie die Einheit von Künstler und Denker und Menschen, den Zug ins Große und Tiefe und Ewige. –

Mögen also Hesse und Ricarda Huch nicht an Keller, Isolde Kurz nicht an C. F. Meyer, Frenssen nicht an Storm und Raabe, Keyserling und Th. Mann nicht an Fontane in vollem Maße heranreichen, so nähern sie sich ihnen doch, und wer unsere Zeitliteratur mißachtet, der verkennt die Besten, die sich mühen, ihr Innerstes zu enthüllen und auszuprägen zum Heile unserer ringenden, an vielen Schäden krankenden Gegenwart.

Sucht man Zeiterlöser unter den gegenwärtigen Dichtern vergebens, findet man in ihnen Kinder einer verwickelten Zeit, deren Sphinxrätsel noch nicht gelöst ist, so muß man doch zugestehen, daß die bedeutendsten unter ihnen mit ihrer Kunst eine Welt für sich, in Gehalt und Stil, bilden. Und ist das nicht auch schon etwas Großes?

Wissensch.-volkstümliche Prosa. − Zeitschriften.

Wie die erzählende Dichtung, so steht auch die wissenschaftliche und volkstümliche Prosa auf nicht geringer Höhe. Mit bewundernswertem Opfermut und tiefdringendem Verständnis haben deutsche Verleger nicht nur neue Talente gefördert, sondern auch billige Volksausgaben in Massen verbreitet, gehaltvolle Werke in gediegener Ausstattung zu niedrigem Preise hergestellt und führende Zeitschriften gegründet und in kritischen Lagen gehalten. Richtung gab wie keine zweite der „Kunstwart“, von dem mannhaften, scharf das Echte vom Unechten scheidenden, wenn auch von starker Einseitigkeit nicht freien Ferd. Avenarius allmählich zum Kulturwart emporgehoben; die „Deutsche Rundschau“, „Monatsschriften“ verschiedener Art, „Türmer“, „Hochland“, „Neue deutsche Rundschau“ u. v. a. dienten unermüdlich dem Ideal, von verschiedensten Standpunkten. So kam es, daß die ausländische Literatur zurückgedrängt wurde, daß in deutschen Landen viel mehr nicht nur gelesen, sondern auch gekauft wird als in früheren, freilich auch ärmeren, Zeiten. Der Kolportageschund findet erfolgreiche Bekämpfung; freilich drängt er, wortlos, mit dem Kino sich desto heftiger wieder vor. Dieses schädigt nicht minder die Dramatik, so daß die Bühne, die schon durch frivole und

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/423&oldid=- (Version vom 11.5.2019)