Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 3.pdf/398

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Gesundheitspflege“. In dieser Verhandlung wurde namentlich der Grundsatz der Abstufung, welcher im allgemeinen schon 1893 aufgestellt war, näher ausgeführt. Es seien Bestimmungen festzusetzen, und zwar nach Ortsteilen veränderlich, über das Verhältnis zwischen Gebäudehöhe und Gebäudeabständen, über die Gewinnung ausreichender und möglichst zusammenhängender Freiflächen im Blockinnern, über die Fernhaltung schädlicher und belästigender Gewerbebetriebe von den Wohnstätten, über die Anwendung der geschlossenen, halboffenen oder offenen Bauweise, über die Höchstzahl der Wohngeschosse und diejenige der Wohnungen in den einzelnen Geschossen. Sodann wurde eine Abstufung nach Gebäudegattungen – große Miethäuser, kleine Miethäuser, Einfamilienhäuser – behandelt, und die Begünstigung der beiden letzteren Gattungen empfohlen, ferner die Abstufung nach Raumgattungen zum dauernden oder zum vorübergehenden Aufenthalt, das Minimum der Räumlichkeit von Familienwohnungen, die Fürsorge für Dach- und Kellerräume erörtert.

Reinigung und Entwässerung.

Auf das Gebiet der Reinigung und Entwässerung wurde in der Berichtsperiode erheblich wissenschaftlich gefördert, dank den umfassenden Erfahrungen aus der Praxis, aber auch auf Grund von Fortschritten in der Hydraulik, Chemie und Bakteriologie. Zum Beleg seien angeführt: neue Methoden zur Abfuhr und Beseitigung des Kehrichts (Verbrennen des Mülls), Untersuchungen über den landwirtschaftlichen Wert oder Unwert der Fäkalien im Vergleich zu künstlichem Dünger, Forschungen über Menge und Ablauf des Kanalwassers, über die zweckmäßigsten Querschnittsformen und Spüleinrichtungen der Kanäle, wirtschaftliche Berechnungen über Rückhaltebecken, Trennsystem und provisorische Kanalisation. Eifrig ist das Ziel der Reinheit von Luft, Wasser und Boden im Bereich menschlicher Ansiedelungen verfolgt worden. Mancherlei neue Erfindungen zur Reinigung von Kanalwasser sind aufgekommen oder vervollständigt worden, so Rechenkonstruktionen mit festem Stand oder mit stetiger Bewegung, Klärbecken und Klärtürme, das Faulverfahren in den Emscher Brunnen, die biologische Reinigung in Füllkörpern oder Tropfkörpern, Rieselfelder und Fischteiche. Namentlich sind die beiden letztgenannten Methoden sorgfältig ausgebildet und dürften in Zukunft nicht bloß die Beseitigung, sondern auch die Verwertung der Abfälle bewerkstelligen: das Ideal für den Hygieniker und für den Volkswirt.

Außer dem naturwissenschaftlichen Gesichtspunkt hat sich aber auch der wirtschaftliche mehr und mehr Geltung verschafft, so daß gegenwärtig von seiten der Aufsichtsbehörden in der Regel nicht mehr als nötig verlangt wird, um die öffentlichen Gewässer trotz der Einleitung städtischen Kanalwassers in erträglichem Zustand zu erhalten. Absolute Reinheit ist als unerreichbar erkannt. Wo immer möglich, wird eine mechanische Reinigung bis zu einer Korngröße von 2–3 mm oder von 20–30% der Schwebestoffe als ausreichend angesehen und die kostspielige biologische Reinigung nur bei einem besonders schlechten Verhältnis zwischen Schmutzwasser und Flußwasser verlangt, sowie für eine etwaige Verschlimmerung der Umstände in Zukunft vorbehalten. Deshalb können auch kleinere Orte sich jetzt eher der hygienischen Wohltat einer Kanalisation erfreuen.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/398&oldid=- (Version vom 10.12.2016)