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V. Elektrotechnik
Von Dr. J. Teichmüller, Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe


Von keiner unter allen technischen Wissenschaften kann man mit gleicher Berechtigung sagen, daß ihre Entwicklung so ganz in die Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. fällt, wie von der Wissenschaft der Elektrotechnik. Zwar hat es schon vor dem Jahre 1888 eine Elektrotechnik gegeben, etwa seit Ende der siebziger Jahre, wo man anfing, im technisch-industriellen Sinne Dynamomaschinen zu bauen und elektrische Beleuchtungsanlagen zu errichten – aber von einer elektrotechnischen Wissenschaft kann man doch erst seit der Zeit sprechen, wo an den Technischen Hochschulen elektrotechnische Vorlesungen gehalten und Institute errichtet wurden; das geschah wenige Jahre vor 1888. Berlin-Charlottenburg unter Slaby und Darmstadt unter Kittler gingen im Wintersemester 1883/84 voran; Hannover unter Kohlrausch folgte im Herbst 1885.

Von da ab entwickelte sich dann die neue Disziplin an den Technischen Hochschulen schnell; im Jahre 1888 finden wir sie an allen in teilweise schon recht zahlreichen Vorlesungen und durch mehrere Dozenten vertreten.

Der wissenschaftlichen Pflege harrte nun ein weites Feld, das bis dahin hauptsächlich nur die Früchte empirischer Bearbeitung getragen hatte.

Gleichstrommaschinen.

Die Erfolge zeigten sich sehr bald an den Dynamomaschinen. Man sehe einmal die älteren Gleichstrommaschinen an: monströse Gebilde mit langen dünnen Eisenschenkeln, die mit einer großen Menge Kupferdraht bewickelt sind! Der lange, ebenfalls dick bewickelte Anker wird zwischen massigen Polschuhen gedreht. Viel vom teuren Kupfer und wenig vom billigen Eisen wurde verwendet, um eine Maschine bestimmter Leistung zu erhalten. – Entschieden änderte sich dieses Bild erst um 1887; die Maschinen erhielten nun kurze und dicke Eisenschenkel mit verhältnismäßig wenigen Windungen Kupferdraht; in ihrer gedrungenen Gestalt bildet die neue Maschine ein Gegenstück zu ihrer Vorgängerin. Diese Umwälzung ist ein Ergebnis strenger wissenschaftlicher Forschungen, immer gepaart mit dem Streben, die elektrischen Maschinen möglichst billig zu machen.

Die wissenschaftlichen Untersuchungen, die diese Umwälzung hervorgebracht haben, erstrecken sich hauptsächlich auf das, was man später den magnetischen Kreis genannt hat.

Die Grundlage zu der mit diesem Namen verbundenen Anschauung eines magnetischen Induktions- oder Kraftflusses, der auf geschlossenen Bahnen in sich zurücklaufe, wurde schon von Faraday gelegt und von der englischen Schule darauf weitergebaut, bis im Jahre 1884 Werner Siemens die Beziehung zwischen magnetomotorischer Kraft, magnetischem Widerstand und Induktionsfluß als Ohmsches Gesetz des magnetischen Kreises klar aussprach. Dieses anschauliche Gesetz und die Hopkinsonsche Formulierung der physikalischen Tatsachen führte zu der oben geschilderten Umwälzung, die der elektrische Maschinenbau in Deutschland in den Jahren 1887 und 1888 durchmachte (in England

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/379&oldid=- (Version vom 20.8.2021)