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großer Teil der wissenschaftlichen Arbeiten, welche im Verlaufe des verflossenen Vierteljahrhunderts zu verzeichnen sind.

Auch für diese Berechnungen sind die Grundlagen schon längere Zeit bekannt: sie sind bei den in der Gegenwart üblichen, neuen Verfahren dieselben, wie bei den älteren und können folgendermaßen ausgesprochen werden:

Die geometrischen Bedingungen, denen die Konstruktion zu genügen hat, müssen mit den elastischen Bedingungen im Einklang sein, d.h. die Formänderungen, welche unter der gemeinsamen Wirkung der bekannten und unbekannten Kräfte auftreten, müssen den von der Konstruktion gestellten Bedingungen genügen: dadurch erhält man die Möglichkeit, die unbekannten Kräfte kennen zu lernen.

Ein einfaches Beispiel diene zur Erläuterung. Ein Gewölbe stützt sich gegen seitliche Mauern, sogenannte Widerlager. Die auf das Gewölbe von den Widerlagern übertragenen Kräfte sind mittels der Gleichgewichtsbedingungen starrer Körper allein nicht ermittelbar. Nun möge der Abstand der Widerlager unveränderlich sein. Die elastischen bzw. die durch Wärmeänderung erzeugten Formänderungen müssen also derartig vor sich gehen, daß das Gewölbe auch nach den Formänderungen zwischen die Widerlager paßt. Die elastischen Formänderungen sind aber von den wirkenden Kräften abhängig; diese müssen sich der angegebenen Bedingung anpassen und können danach aus ihr ermittelt werden. Derselbe Weg ist gangbar, auch wenn gewisse bekannte Veränderungen in der gegenseitigen Lage der Widerlager infolge äußerer Umstände auftreten.

Die angegebene Grundlage diente zur Berechnung statisch unbestimmter Konstruktionen schon vor vielen Jahren; als Beispiel mögen die kontinuierlichen Träger genannt werden.

Arbeitsprinzip.

Die heute üblichen Verfahren für die elastischen Formänderungen verwenden das Arbeitsprinzip, das an die Namen Mohr (1874, 1875) und Maxwell (1864) geknüpft ist. Mohr ist auf seine epochemachenden Untersuchungen gekommen, ohne von der älteren Arbeit Maxwells Kenntnis zu haben. Erst 1883 wurde ihm Maxwells Arbeit bekannt. Weiter werden verwendet die Sätze über die Formänderungsarbeit von Castigliano (1373), und Fränkel (1882), wie auch die Sätze über die Gegenseitigkeit der elastischen Verschiebungen. Diese Verfahren waren im Jahre 1888 bereits bekannt und wurden von einzelnen Fachgelehrten und Brückenkonstrukteuren schon verwendet, aber im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts sind die Anschauungen auf diesem Gebiete durch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten geklärt, teilweise durch wissenschaftliche Kämpfe. Die verbesserten Verfahren erleichterten nicht nur die Lösung alter Aufgaben, sie führten auch dazu, daß man sich an neue und schwierigere Aufgaben heranwagte. Ist es doch eine bekannte Tatsache, daß verbesserte Werkzeuge, auch auf geistigem Gebiete und erhöhte Arbeitsziele in fruchtbringender Wechselbeziehung zueinander stehen.

Einige Gebiete, auf denen in dem betrachteten Zeitraum die wissenschaftliche Erkenntnis besonders vertieft ist, mögen hier kurz angeführt werden.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/353&oldid=- (Version vom 20.8.2021)