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an bedeutendere Aufgaben heran und stellte schon frühzeitig gewölbte Bauwerke her. Aber wenn auch ein Vorwärtsschreiten auf diesem empirischen Wege möglich ist, so muß es doch als ein Tappen im Finstern bezeichnet werden. Erst wenn mit Hilfe der Wissenschaft der Ausblick auf die verschiedenen möglichen Wege des Fortschreitens erreicht ist, kann die zweckmäßigste Wahl getroffen werden.

Gerade der Brückenbau ist eine Vereinigung von Kunst, Wissenschaft und Technik, die einerseits nicht ohne wissenschaftliche Erkenntnis vorwärtsschreiten kann, andererseits aber auch die Anwendung der Wissenschaft durch freudige Genugtuung in dem Ingenieur belohnt.

Die Neuzeit steht im Zeichen des Verkehrs: Verkehr bedingt Straßen und Eisenbahnen und als deren vornehmsten und schwierigsten Teil: Brücken. Die Bahnen können nicht mehr haltmachen an breiten Strömen und Meeresarmen, die große Weite muß überbrückt werden. Solche große Aufgaben können nur gelöst werden mit Hilfe der Mechanik. Die Gesetze der Mechanik, denen wir auf der Erde unterworfen sind, geben uns die Grenzen an für unsere Leistungen, aber auch die Mittel für die richtige Anordnung.

Die heutigen Brücken haben so außerordentliche Größe und müssen so bedeutende Lasten tragen, daß nur auf gründlicher Berechnung beruhende Konstruktion Sicherheit für den Bestand leistet. Von der Richtigkeit der Berechnung hängt unter Umständen das Leben vieler Menschen ab.

Die Anwendung der Gesetze der Mechanik auf die Technik erfolgt nach zwei Richtungen:

1. Es sind die Gesetzmäßigkeiten klarzustellen, welchen unsere Konstruktionen unterworfen sind und zwar in mathematischer Form;

2. es sind die Werte der in den Gleichungen vorkommenden Konstanten zu ermitteln.

Für die Lösung beider Aufgaben sind sorgfältig und planmäßig angestellte Versuche unentbehrlich; die Versuche bedeuten Fragen an die Natur, ihre richtige Verwertung gibt Aufschluß über die Gesetze und die Konstanten. Sonach sind hier die Fortschritte in der Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten und in der Anstellung planmäßiger Versuche im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts zu besprechen.

1. Fortschritte in der Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten, welche der Brückenberechnung zugrunde liegen.

Gesetzmäßigkeit der Konstruktionen.

Die Gesetze, denen unsere Konstruktionen zu genügen haben, sind seit langer Zeit bekannt: vor allem sind es die Gesetze des Gleichgewichts. Mit Hilfe dieser Gesetze kann man eine große Zahl von Konstruktionen sicher berechnen, so vor allem die statisch bestimmten Konstruktionen. Neben diesen sind solche vorhanden, für deren Berechnung die elastischen infolge der Belastung eintretenden Formänderungen und die Wärmeänderung von bedeutendem Einfluß sind. Diese Konstruktionen werden als statisch unbestimmte bezeichnet; ihre Berechnung ist wesentlich schwieriger. Auf diesem Gebiete liegt ein sehr

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/352&oldid=- (Version vom 20.8.2021)